Das Kunsthaus spielt jetzt in der europäischen Champions League
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Umstrittener Kunsttempel:Zürcher Kunsthaus ist jetzt grösstes Museum der Schweiz

Eröffnung des Chipperfield-Baus in Zürich
Das Kunsthaus spielt jetzt in der europäischen Champions League

Am Wochenende eröffnet das Kunsthaus den neuen Erweiterungsbau des britischen Stararchitekten David Chipperfield. Zu reden gibt aber nicht die Form, sondern der Inhalt.
Publiziert: 06.10.2021 um 20:05 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2021 um 07:40 Uhr
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An diesem Wochenende eröffnet der Erweiterungsbau des Zürcher Kunsthauses.
Foto: Keystone
Daniel Arnet

«Ist das wirklich Zürich?», fragt sich Stadtpräsidentin Corine Mauch (61), als sie nach fünfjähriger Bauzeit das erste Mal im weiträumigen Foyer des Erweiterungsgebäude des Kunsthauses steht und an die engen Gassen der Altstadt denkt. «Es ist gross», sagt sie gestern Mittwoch an der Pressekonferenz zur Eröffnung, «es ist grossartig!»

Tatsächlich ist der Würfel nach Plänen des britischen Stararchitekten David Chipperfield (67) ein grosser Wurf. Mit dem Grau der Betonwände und Marmortreppen sowie den golden schimmernden Handläufen und Lifttüren aus Messing wirkt das 206 Millionen Franken teure Haus wie ein grosser Tresor mitten in der Bankenstadt.

Das Kunsthaus kann seine Ausstellungsfläche mit den 5000 Quadratmetern im Chipperfield-Bau mehr als verdoppeln und ist nun das grösste Museum der Schweiz. Für 2022 rechnet man mit einem Budget von 25,1 Millionen Franken (plus 25 Prozent) und erwartet 375'000 Besucherinnen und Besucher. In den letzten Jahren lag die Zahl unter 300'000.

«Das Eigentum fremder Leute»

Aber das Kunsthaus kann auch über die Grenzen hinaus mithalten und spielt jetzt in der Champions League europäischer Ausstellungshäuser. «Heute ist die Sammlung eine der grössten in Europa», sagt Museumsdirektor Christoph Becker (61). Und Stadtpräsidentin Mauch schwärmt: «Ein weiterer Meilenstein für die Kulturstadt Zürich.»

Vor allem dank der Dauerleihgabe der umstrittenen Bührle-Sammlung auf der zweiten Etage rangiert das Zürich bezüglich bedeutender französischer Impressionisten innerhalb von Europa gleich hinter dem Impressionisten-Mekka Paris. Und durch den zusätzlichen Raum kann man jetzt 17 Prozent der Sammlung statt wie bisher bloss 10 präsentieren.

Dabei hatte das Kunsthaus zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine kleine, unbedeutende Sammlung. Und sie ist nicht durch eigenes Zutun gewachsen. «Das meiste ist nicht selbst gekauft», sagt Becker. «80 Prozent sind Geschenke oder Leihgaben – das Eigentum fremder Leute.» Da die Schweiz kein Feudalstaat sei, habe das Bürgertum ein Konglomerat an kleineren Sammlungen beigetragen.

Konzentration auf Sammlungen

Und so ist auch der neue Tresor eine Sammelbox für wertvolle Leihgaben unterschiedlicher Kunstliebhaber: Da ist die «Sammlung Hubert Looser» mit ihrem Schwerpunkt auf amerikanische Kunst der Nachkriegszeit, daneben die Expressionistensammlung des Holocaust-Überlebenden Werner Merzbacher (93) und darüber die des deutschstämmigen Emil Georg Bührle (1890–1956), der aus Zürich Waffen an die Nazis lieferte.

«Merzbacher und Bührle sind nicht gegensätzlich», sagt Becker, «sie reihen sich aneinander.» Es scheint fast so, als habe das Kunsthaus mit der «Sammlung Werner und Gabriele Merzbacher» ein Feigenblatt, um die Bührle-Sammlung mit besserem Gewissen zeigen zu können. Mit einem separaten Dokumentationsraum zur Sammlung-Bührle will man sich jedenfalls der aktuellen Diskussion stellen.

Durch die Konzentration auf Sammlungen im Neubau hat das Kunsthaus im ganzen Museum das Ausstellungskonzept verändert. «Wir haben alle Sammlungen neu geordnet», sagt Becker, «Sie finden nichts mehr am gleichen Ort.» Dadurch gestaltet sich der Gang durchs Museum zwar abwechslungsreich, aber das Publikum bekommt keine chronologische Präsentation zu sehen – Altmeister finden sich zuweilen neben moderner Kunst.

Eine zusammengewürfelte Weltklasse-Sammlung eben – mit umstrittenem Inhalt.

Am Samstag und Sonntag 9./10. Oktober von 10 bis 18 Uhr kostenlose Besichtigung des neuen Kunsthauses.

Raubkunst und Kunstraub

Die Eröffnung des Erweiterungsbaus sorgt im Vorfeld für internationale Schlagzeilen: «Kanon und Kanonen», titelte etwa die «Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung» in ihrer letzten Ausgabe und bezog sich darauf, dass die wegweisende Sammlung des Schweizer Waffenhändlers Emil Georg Bührle (1890–1956) mit 170 Werken im neuen Gebäude ausgestellt ist, darunter viele bedeutende Impressionisten. Historiker monieren, der deutschstämmige Bührle habe sein Vermögen vor und während des Zweiten Weltkriegs mit dem Verkauf von Kriegsmaterial vor allem an Nazi-Deutschland gemacht und damit seine Sammlung finanziert. Viele der bedeutenden Gemälde, darunter das Monet-Bild «Mohnfeld bei Vétheuil» (1879), habe er Juden in Not abgekauft – sie seien also sogenanntes Fluchtgut. Andere Werke seien gar Raubkunst, die die Nazis den Juden stahlen. Das besagte Monet-Gemälde ist 2008 schliesslich Teil des «Jahrhundert-Raubs» (Blick): Bewaffnete Männer entwenden es am 10. Februar am ehemaligen Ausstellungsort im Zürcher Seefeld zusammen mit drei weiteren Werken von Cézanne, van Gogh und Degas. Gesamtwert: 180 Millionen Franken. 2012 sind alle vier Bilder wieder zurück und nun dauerhaft im Erweiterungsbau des Kunsthauses Zürich zu sehen.

Blick-Titelseite vom 12. Februar 2008.

Die Eröffnung des Erweiterungsbaus sorgt im Vorfeld für internationale Schlagzeilen: «Kanon und Kanonen», titelte etwa die «Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung» in ihrer letzten Ausgabe und bezog sich darauf, dass die wegweisende Sammlung des Schweizer Waffenhändlers Emil Georg Bührle (1890–1956) mit 170 Werken im neuen Gebäude ausgestellt ist, darunter viele bedeutende Impressionisten. Historiker monieren, der deutschstämmige Bührle habe sein Vermögen vor und während des Zweiten Weltkriegs mit dem Verkauf von Kriegsmaterial vor allem an Nazi-Deutschland gemacht und damit seine Sammlung finanziert. Viele der bedeutenden Gemälde, darunter das Monet-Bild «Mohnfeld bei Vétheuil» (1879), habe er Juden in Not abgekauft – sie seien also sogenanntes Fluchtgut. Andere Werke seien gar Raubkunst, die die Nazis den Juden stahlen. Das besagte Monet-Gemälde ist 2008 schliesslich Teil des «Jahrhundert-Raubs» (Blick): Bewaffnete Männer entwenden es am 10. Februar am ehemaligen Ausstellungsort im Zürcher Seefeld zusammen mit drei weiteren Werken von Cézanne, van Gogh und Degas. Gesamtwert: 180 Millionen Franken. 2012 sind alle vier Bilder wieder zurück und nun dauerhaft im Erweiterungsbau des Kunsthauses Zürich zu sehen.

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