Das Meer auf dem «Seestück» (1970) ist rau, der Himmel auf den «Wolken»-Bildern bedeckt, und auf dem Gemälde «Davos» (1981) drückt die Sonne nur milchig durch den Nebel: Es sind keine Schönwetterszenen, die der deutsche Maler Gerhard Richter (89) in Öl festhält. Bildausschnitt und Unschärfe erinnern zudem an fotografische Schnappschüsse. Doch die fotorealistische Wiedergabe durch den Maler lässt nach Luft schnappen – die Werke sind eine Wucht!
«Gerhard Richter. Landschaft» heisst der schlichte Titel der Ausstellung, in der das Kunsthaus Zürich bis zum 25. Juli 2021 rund 140 Arbeiten von Richter präsentiert – die meisten davon erstmals in der Schweiz. Es ist eine Co-Produktion mit dem Kunstforum Wien, wo die Schau im letzten Herbst zu sehen war. «Mir persönlich war es wichtig, Schweizer Motive in der Ausstellung zeigen zu können», sagt Kunsthaus-Kuratorin Cathérine Hug. Deshalb zeigt Zürich nun 15 weitere Werke, viele aus Schweizer Sammlungen.
Abstraktes für die Sammler, Gegenständliches fürs Publikum
Richter ist ein sicherer Sammlerwert. Nach der Finanzkrise von 2008 investierten viele Vermögende ihr Geld in die Kunst des Deutschen, so dass seine Gemälde seither immer wieder Rekordpreise erzielten. Gemäss dem Kunstmagazin «Monopol» ist Richter mit dem «Abstrakten Bild», das Sotheby’s London 2015 für 46,3 Millionen Dollar versteigerte, aktuell der viertteuerste lebende Künstler. Als «schockierend» bezeichnete Richter dies einmal, dessen Vermögen auf eine halbe Milliarde Euro geschätzt wird.
Während Sammler überwiegend für abstrakte Richter-Bilder viel Geld hinblättern, sind es vor allem die gegenständlichen Gemälde des Künstlers, die als Publikumsmagnete wirken – so wirbt auch das Kunsthaus mit dem fotorealistischen «Vierwaldstättersee» (1969) für die Ausstellung. Woher dieses unterschiedliche Interesse? «Es hat weniger mit seinem Stil zu tun», sagt Hug. «In seinem Gesamtwerk ist zu drei Vierteln Abstraktes vorhanden.» Und so kommt das auch vermehrt auf den Kunstmarkt.
Figurative und abstrakte Maler gingen in der Kunstwelt lange getrennte Wege – da fotorealistische wie der Schweizer Franz Gertsch (91) oder der Amerikaner Chuck Close (90), dort abstrakte wie der Russe Wassily Kandinsky (1866–1944) oder der Amerikaner Jackson Pollock (1912–1956). Gerhard Richter vereint beide Strömungen. «Richter ebnete ab den 1960er-Jahren einen Weg, den Künstler heute viel selbstverständlicher begehen», sagt Hug. «Er hat den ideologischen Grabenkampf zwischen abstrakt und figurativ ad absurdum geführt.»
Sozialistischer Realismus in der DDR gelernt
Das zeigt sich auch auf dem Rundgang durchs Kunsthaus: Sind in einer Sektion «romantisierende Bilder» in der Nachfolge von Caspar David Friedrich (1774–1840) zu sehen, in einer anderen «Landschaften der Abstraktion», so vermengen sich beide in der letzten Abteilung «übermalte Landschaften» – ungegenständliche Übermalungen von realistischen Landschaftsmotiven. «Wenn die abstrakten Bilder meine Realität zeigen», beschreibt ein Satz auf einer Ausstellungswand Richters Absicht, «dann zeigen die Landschaften und Stillleben meine Sehnsucht.»
1932 kommt Gerhard Richter in Dresden zur Welt. 1951 beginnt er ein Studium an der dortigen Kunstakademie. «Er ist ein begnadeter realistischer Maler – er beherrscht das Handwerk vollkommen», sagt Hug. «Er hat ja sozialistischen Realismus in seiner ersten Ausbildung in der DDR gelernt.» Doch 1961 flüchtet er mit seiner ersten Frau in die BRD und wird dort zum gefeierten Künstler. Heute lebt Richter mit seiner dritten Ehefrau Sabine Moritz (51) und drei gemeinsamen Kindern zurückgezogen in Köln.