Am 25. Juni macht Channah Feldinger (32) eine Buchungsanfrage für ein Gruppenhaus in Parpan GR. Mit mindestens elf Familienmitgliedern, darunter vier Erwachsene sowie sieben Kinder und Jugendliche, will Familie Feldinger im August zehn Tage im Bündnerland verbringen. Für die Buchungsanfrage nutzt Feldinger eine Online-Plattform. Sie gibt an, dass sich die Familie im Haus selbst versorgen möchte.
Statt einer Bestätigung erhält Feldinger allerdings eine Absage. Betrieben wird das Gruppenhaus von einer Schweizer Firma, die Antwort kommt aber von der Mutterfirma mit Sitz in Deutschland. Eine Mitarbeiterin schreibt: «Leider erfüllen unsere Häuser nicht die Anforderungen von streng jüdisch-orthodoxen Gruppen und ‹Abigruppen›. Da wir niemanden in der Ausübung seines/ihres Glaubens hindern möchten sowie aufgrund unserer Erfahrungen im Umgang mit unseren Häusern (Schäden und Beschwerden), können wir euch leider kein Mietangebot machen.» Die Mitarbeiterin weist zudem darauf hin, dass das Haus erst ab 25 Personen angeboten werde.
Salz in die Wunde gestreut
Manny Feldinger (42), Onkel von Channah Feldinger und streng orthodoxer Jude, irritiert diese Antwort. «Das ist klar rassistisch und diskriminierend», sagt er zu Blick. Natürlich dürfe ein Vermieter entscheiden, an wen er sein Haus vermieten wolle. Jedoch sei die Antwort verletzend formuliert. Mit dem vagen Verweis auf Schäden und Beschwerden sowie der unverständlichen Erwähnung von «Abigruppen», also Maturareisen, werde zudem Salz in die Wunde gestreut. Feldinger hat das Schreiben der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus vorgelegt. Diese stuft die Antwort als «rassistisch/antisemitisch» ein.
Manny Feldinger ist in England in der Immobilienbranche tätig. Er trifft sich seit mehr als zehn Jahren jeweils mit seinem Bruder und ihren Familien, im gemeinsamen Heimatland, der Schweiz. «Es gibt nicht schöneres als die Schweizer Ferien», sagt Feldinger. Normalerweise kommen noch weitere Familienmitglieder dazu, sodass er insgesamt rund 30 Personen am traditionellen Familientreffen erwartet hätte – die 25 Personen wären also wohl erreicht worden.
Probleme mit Herdplatten
Die zuständige Firma bestätigt gegenüber Blick, dass sie es vermeidet, ihre Liegenschaften an streng orthodoxe Gruppen zu vermieten. Auf Anfrage erklärt der Geschäftsführer, dass die Firma ihre Häuser während vieler Jahre auch an solche Gruppen vermietet habe. Nach negativen Erfahrungen habe man jedoch damit aufgehört. So habe es etwa schon Schäden an Herdplatten gegeben, wenn diese mehr als 24 Stunden eingeschaltet blieben.
«Die Schäden sind oftmals dermassen, dass wir diese nicht für die Folgegruppe beheben können und somit der Folgegruppe nicht die gebuchte Qualität gewährleisten können», erklärt der Geschäftsführer. Oftmals reise die Folgegruppe schon am Abreisetag der vorherigen Gruppe an, sodass keine Pause vorhanden sei. Er betont: «Wir sind nur Pächter der Häuser und unseren Vermietern einen schonenden Umgang mit dem Mobiliar vertraglich schuldig.»
Mit Reiseversicherung
Wohl gebe es jüdisch-orthodoxe Gruppen, die schon Probleme gemacht hätten, sagt Manny Feldinger. «In jedem Laden gibt es faule Äpfel.» Das rechtfertige aber kein Pauschalurteil. In den letzten zehn Jahren hat Familie Feldinger bereits zweimal bei der deutschen Firma Gruppenunterkünfte im Bündnerland gebucht und keine Probleme verursacht. «Wir schliessen stets eine Reiseversicherung ab», betont Feldinger.
Die Infrastruktur im Gruppenhaus in Parpan sei durchaus auch für streng orthodoxe Juden und die koschere Küche geeignet. Feldinger sagt: «In unserer Familie sind alle im Immobilienbereich tätig. Wir wissen, wie man ein Haus benutzt, ohne es zu beschädigen.» Es entstehe durch sie auch kein Sonderaufwand für den Vermieter.
In diesem Jahr fällt das Familientreffen der Feldingers nun ins Wasser – auch weil es noch einen Terminkonflikt gegeben hat. In Zukunft soll das Treffen aber wieder in der Schweiz stattfinden. «Es gibt hier viele geeignete Häuser mit anständigen Vermietern, die ihr Gruppenhaus auch an jüdische Familien vermieten wollen», so Feldinger.
«Treue Gäste»
«In der Schweiz fühlen sich jüdische Gäste traditionell sehr wohl, weshalb sie zu den treuen Gästen zählen», erklärt Liên Burkard, Mediensprecherin bei Schweiz Tourismus. Generell seien, bis auf ganz wenige Einzelfälle, keine Probleme mit Angehörigen von Minderheiten bekannt. Die Bedürfnisse von streng orthodox-religiösen Gästen seien hoch und anspruchsvoll, weshalb sich Beherbergungsbetriebe sorgfältig darauf vorbereiten sollten.
Zur Einhaltung der Schabbatregeln können gemäss Burkard etwa Bewegungsmelder für Licht, automatische Schiebetüren, Wärmeplatten oder Zeitschaltuhren hilfreich sein. Als nationale Tourismusmarketingorganisation engagiere sich Schweiz Tourismus dafür, dass sich alle Gäste, unabhängig von ihrer Religion oder Herkunft, in der Schweiz willkommen fühlen. «Schweiz Tourismus verurteilt jede Art von Diskriminierung», betont Burkard.