Was ist passiert?
Es war ein gezielter und effizienter Schlag: In der Nacht auf Freitag haben US-Truppen in Bagdad einen der wichtigsten iranischen Militärführer getötet. General Qassem Soleimani (†62) war der Kopf der berüchtigten Al-Quds-Brigaden, die im Irak den Einfluss der Iraner ausbauen sollen und gegen die US-Präsenz kämpfen. Die Amerikaner griffen auf Befehl von Präsident Donald Trump (73) Soleimanis Konvoi beim Flughafen der irakischen Hauptstadt mit einer 480 km/h schnellen Reaper-Drohne (Sensenmann-Drohne) an. Neben dem General wurden sieben weitere Personen getötet, darunter sein Schwiegersohn. Offenbar wurde Soleimani durch die Explosion in Stücke gerissen, konnte aber anhand seines Rings identifiziert werden.
Warum eskaliert die Gewalt?
Die Krise zwischen den USA und dem Iran hat sich verschärft, als Donald Trump im Mai 2018 den Ausstieg aus dem 2015 abgeschlossenen «einseitigen» Nukleardeal mit dem Iran ankündigte. Seither führt der Iran sein Atomprogramm ohne ausländische Kontrolle weiter. Die USA ergriffen Sanktionen und schickten Kriegsschiffe und Kampfjets in den Persischen Golf. Die Iraner ihrerseits verübten Anschläge auf westliche Schiffe und Pipelines und schossen eine US-Drohne ab. Am Wochenende eskalierte der Konflikt weiter, als die USA – als Vergeltung für einen getöteten US-Zivilisten – 25 Kämpfer der vom Iran unterstützten Schiiten-Miliz Kataib Hisbollah töteten. Darauf griffen am Dienstag mehrere Hundert Demonstranten die US-Botschaft in der irakischen Hauptstadt Bagdad an.
Warum schlug Trump jetzt zu?
Klar ist, General Qassem Soleimani stand schon lange auf der Abschussliste der Amerikaner. Trump: «Er hätte schon vor vielen Jahren ausgeschaltet werden sollen.» Dass ihn Trump zu Jahresbeginn töten liess, könnte zwei Gründe haben. Trump will einerseits mit spektakulärer Aussenpolitik von seinen Problemen beim Impeachment-Verfahren ablenken. Andererseits hat Trump auch nach mehreren Anschlägen gegen US-Einrichtungen im Nahen Osten militärisch nie reagiert. Mit der Ermordung des Generals setzt er ein deutliches Zeichen an die Iraner, dass er ab nun auf Schläge mit heftigen Gegenschlägen reagieren werde. Trump twitterte: «General Qassem Soleimani hat über einen längeren Zeitraum Tausende Amerikaner getötet oder schwer verwundet und plante, noch viele weitere zu töten ... wurde aber erwischt!»
Wie reagiert der Iran?
Präsident Hassan Rohani (71) hat die USA scharf verurteilt und Vergeltung angekündigt. «Zweifellos werden der Iran und andere unabhängige Staaten dieses schreckliche Verbrechen der USA rächen», liess Rohani in einem Beileidsschreiben verlauten. Der iranische Aussenminister Mohammed Dschawad Sarif (59) verurteilte den tödlichen Raketenangriff als «Akt des internationalen Terrorismus».
Was sagen die USA?
Trumps Aussenminister Mike Pompeo (56) erklärte: «Wir wollen keinen Krieg mit Iran. Aber wir werden nicht dastehen und zusehen, wie das Leben von US-Bürgern in Gefahr ist.» Das Risiko, gegen den Iran nichts zu unternehmen, sei enorm und der Angriff auf Soleimani «rechtmässig» gewesen. Auf CNN sagte Pompeo, es bestehe kein Zweifel, dass die Tötung Soleimanis das Leben von US-Bürgern gerettet habe. Er hoffe, dass die Führung in Teheran die «Entschlossenheit» der US-Regierung anerkenne und «dass sie sich entscheidet, zu deeskalieren». Die USA haben ihre Bürger im Irak zur sofortigen Ausreise aufgerufen. Gleichzeitig wurde bekannt gegeben, dass rund 3000 weitere Soldaten in die Region entsandt werden.
Bricht nun der Dritte Weltkrieg aus?
Dass der Konflikt nun eskaliert, ist unausweichlich. Nahost-Experte Erich Gysling (83): «Der Iran wird auf den Anschlag garantiert reagieren.» Irans Militär verfügt über ein dichtes Netz von treuen Verbündeten in wichtigen Ländern der Region. Möglich wäre ein Anschlag auf eine der lokalen US-Einrichtungen. Aber auch die US-Schiffe im Persischen Golf sind relativ leichte Ziele. Gysling: «Im Persischen Golf kreuzen ständig rund 30 US-Kriegsschiffe und ein Flugzeugträger.» Dazu kommen zahlreiche westliche Handelsschiffe und Öltanker. Weitere Vergeltungsmassnahmen könnten ein Cyberkrieg, die Blockierung der Versorgungslinie für US-Einrichtungen sowie ein Angriff auf Israel sein. Gysling: «Der Konflikt wird sich auf die Region beschränken. Das Schlimmste wäre, wenn die Aggressionen zu einem Stellvertreterkrieg im Irak ausarten würden.»
Wie gefährlich ist der Iran?
Die Iraner sind den Amerikanern massiv unterlegen. Von der gefürchteten Atombombe sind sie laut Erich Gysling meilenweit entfernt. Daher verlegen sie sich auf die asymmetrische Kriegsführung, das heisst, sie schlagen immer wieder nadelstichartig zu. Das Land verfügt über Raketen, die einige Tausend Kilometer weit reichen. Aber damit können sie niemals die USA direkt angreifen.
Warum sind so viele Iraner im Irak?
Nach Ende des Irak-Kriegs 2003 haben die Amerikaner im Irak für eine schiitische Regierung gesorgt. Das hat das Verhältnis zum benachbarten, mehrheitlich schiitischen Iran intensiviert. Die Al-Quds-Brigaden kamen in den Irak, um gegen den gefährlichen Islamischen Staat zu kämpfen. Denn obwohl die USA seit Ende des Irak-Kriegs zwei Billionen Dollar in den Wiederaufbau und die Sicherheit im Irak investiert haben, sind die irakischen Streitkräfte immer noch schwach. Auch wirtschaftlich ist der Irak vom Iran abhängig.
Wie reagiert die Welt?
EU-Ratspräsident Charles Michel (44) warnt vor einer Spirale der Gewalt im Irak.«Eine weitere Eskalation muss um jeden Preis verhindert werden.» Auch China reagierte: «Wir mahnen alle beteiligten Parteien, besonders die Vereinigten Staaten, Ruhe und Zurückhaltung walten zu lassen, um weitere Spannungen und Eskalationen zu vermeiden», sagte ein Sprecher des Aussenministeriums. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu (70) hat seinen Besuch in Griechenland abgebrochen.
Wird der Anschlag Trump schaden?
Der Angriff ist in den USA hoch umstritten. Die Republikaner bezeichnen Soleimanis Tötung als gerechte Strafe für einen Feind Amerikas. Der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden (77) hingegen ist ausser sich: «Präsident Trump hat soeben eine Stange Dynamit in ein Pulverfass geworfen.» Trump, der einst versprochen hatte, Truppen aus dem Ausland abzuziehen, muss wegen der drohenden Eskalation des Konflikts nun seine heute 5200 Mann starke Truppe im Irak aufstocken. Der Anschlag, den er im Alleingang ausgeführt hat, könnte für ihn daher bei der Präsidentschaftswahl im November zum Bumerang werden.
Was sind die Folgen für die Schweiz?
Die Schweiz und die Welt werden dann etwas spüren, wenn die Iranischen Revolutionsgarden, welche die Strasse von Hormus überwachen, den Persischen Golf abriegeln. «Über die beiden Fahrrinnen der nur 40 Kilometer breiten Meeresenge läuft ein Drittel des weltweiten Öl- und Gashandels», sagt Erich Gysling. Die Folge einer Blockade: Die Preise könnten ansteigen.