«Es ist schwierig für mich, nichts zu sagen»
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Schüler über Hass im Internet:«Es ist schwierig für mich, nichts zu sagen»

Berner Schulklasse lernt
So gefährlich ist Hass im Netz für Jugendliche

98 Prozent der Schweizer Jugendlichen sind in den sozialen Medien aktiv. Dort kursiert viel Hass – eine Gefahr für junge Leute. Mittlerweile sind auch Schweizer Schulen davon betroffen. Deswegen soll ein Kurs Aufklärung schaffen.
Publiziert: 04.12.2021 um 00:30 Uhr
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Aktualisiert: 06.12.2021 um 13:26 Uhr
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Die Schüler müssen auch selbst aktiv werden: Diese Gruppe erklärt in einem Video, wie man Anzeige gegen Hassrede erstatten kann.
Foto: Philippe Rossier
Janina Bauer, Philippe Rossier

Es ist Donnerstagmorgen in Walkringen BE, die Schülerinnen der 9. Klasse sitzen in ihrem Klassenzimmer und warten auf den Unterrichtsbeginn. Plötzlich wird die Tür aufgerissen. Herein kommt Bernhard Stotz, er spricht am Telefon: «Die Kopftücher sollen wieder zurück ...» Weitere Aussagen fallen – etwas gegen Juden und Homosexuelle.

Es herrscht Stille im Raum, verunsicherte Blicke werden ausgetauscht. Hat er das wirklich gerade gesagt? Stotz legt auf, stellt sich vor die Klasse und erlöst die Schüler von ihrem Schock. Das Telefonat war gespielt. Die Aussagen jedoch sind echt. «Jeder Satz stammt von Kommentaren aus den sozialen Medien», sagt der Medienpädagoge. «Sie fallen unter die Kategorie Hassrede.»

Schweizer Schulen betroffen

98 Prozent der Schweizer Jugendlichen haben mindestens ein Profil in einem sozialen Netzwerk. Die Hälfte von ihnen begegnet darauf mehrmals die Woche Hasskommentaren, wie der diesjährige James-Focus-Bericht der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und Swisscom zeigt. Ein besorgniserregendes Ergebnis, das auch Schweizer Schulen betrifft.

«Hassrede und Cybermobbing liegen eng beieinander», erklärt Medienpädagoge Stotz. «Letzteres nimmt an Schulen enorm zu.» Und selbst wenn Schüler nicht unmittelbar Opfer von Hassrede sind, sind sie trotzdem gefährdet: Einerseits verlieren die Jugendlichen den Respekt voreinander, lernen einen falschen Umgang miteinander. Andererseits strotzen Hasskommentare vor verdrehten Fakten, die Desinformation fördern. «Dazu kommen Verlinkungen zu gewalttätigen und pornografischen Inhalten, die von Trollen im Internet verteilt werden», erklärt Stotz. Aus diesem Grund hat er ein Schulungskonzept entworfen, mit dem man die Jugendlichen für die Thematik sensibilisieren kann. In Kooperation mit der Swisscom, die den Kurs zukünftig anbieten wird, findet an der Walkringer Schule ein Testlauf statt.

Kursleiter Bernhard Stotz erklärt den Schülern die Typen von Diskriminierung im Netz.
Foto: Philippe Rossier

Im Laufe des Vormittags lernen die Schüler verschiedene Formen der Diskriminierung kennen – von Sexismus bis hin zu Hass gegen Sinti und Roma –, diskutieren über verschiedene Verhaltensstrategien und über die Motivation, die hinter solchen Kommentaren steckt. Fast alle begegnen regelmässig Hasskommentaren, insbesondere auf Instagram und Tiktok. Jedoch war keiner der 13 Jugendlichen bisher selbst von Hassrede betroffen, auch ihr enges Umfeld nicht.

Keine Aufmerksamkeit für Hassrede

Das könnte daran liegen, dass die meisten von ihnen eher passiv unterwegs sind. Sie nutzen die sozialen Medien vor allem zum Chatten und «Umeluege». Selbst posten sie eher weniger, Kommentare schreiben sie, wenn überhaupt, bei guten Freunden. Ihre Instagram-Profile stellen sie auf privat. Und auch auf Hasskommentare reagieren sie zurückhaltend. «Ich lese sie zwar, ignoriere sie aber fast immer», sagt Schülerin Seline (15). Ihre Kollegen schliessen sich dem an. Nur Benjamin (14) wirft ein: «Ab und zu melde ich mal einen besonders schlimmen Kommentar.»

Trotzdem beschäftigt sie der Hass im Netz. Er stösst auf Unverständnis. Die 14-jährige Lisa sagt: «Ich finde das extrem respektlos. Wenn man eine Person nicht gernhat, kann man sie ja einfach in Ruhe lassen. Auf Instagram zum Beispiel kann man sie einfach deabonnieren.» Bei ihrem Klassenkameraden Jan (15) lösen Hasskommentare vor allem Wut aus. «Ich muss mich wirklich fest zurücknehmen, um nicht aggressiv zurückzuschreiben», sagt er – im Wissen darum, dass das nichts bringt.

Die Schülerinnen Lisa (14) und Seline (15) aus Walkringen BE begegnen regelmässig Hassrede im Netz. Selbst betroffen waren sie jedoch noch nie.
Foto: Philippe Rossier

René Loosli leitet die Schule in Walkringen. Er ist froh, dass es bisher nur wenige Fälle von Cybermobbing und Hasskommentaren unter seinen Schülern gab. «Wir leben in einem kleinen Dorf, jeder kennt hier jeden. Gibt es ein Problem, erfahren wir das schnell und kümmern uns darum.» Loosli sorgt sich eher um den naiven Umgang mit persönlichen Informationen. Dabei bezieht er sich auf eine Schülerin, die vor einigen Jahren achtlos Nacktbilder verschickte. «Mir ist wichtig, dass die Jugendlichen dafür sensibilisiert werden, welche Inhalte und welcher Umgang miteinander im Netz angemessen sind.» Insbesondere weil alle seine Schüler ab der 7. Klasse ein eigenes Chromebook mit unbeschränktem Internetzugang bekommen.

Die Schüler aus Walkringen ziehen nach dem Kurs eine positive Bilanz. «Ich werde in Zukunft aufmerksamer darauf achten», sagt Seline. Schüler Benjamin geht selbstkritisch in die Mittagspause. Er werde sein eigenes Verhalten im Netz künftig noch mehr hinterfragen. Ausserdem wissen die Schüler nun Bescheid, was zu tun ist, wenn sie selbst oder ihre Freunde betroffen sein sollten. «Hilfe holen, bei den Eltern oder Vertrauten», sagt Jamiro (15).

Hassrede und Cybermobbing

Hassrede und Cybermobbing sind Phänomene, die in den sozialen Medien auftauchen. Beim Cybermobbing bekommen einzelne Personen Hass in Form von Nachrichten, Bildern und Kommentaren zu spüren. Täterinnen kennen ihre Opfer meist persönlich. Bei Hassrede hingegen richtet sich der Hass gegen ganze Gruppen wie zum Beispiel Ausländer oder Frauen. Täter bedienen sich hierbei oftmals Stereotypisierungen, drohen Gewalt an, streuen Fehlinformationen und verwenden herabwürdigende Sprache.

Hassrede und Cybermobbing sind Phänomene, die in den sozialen Medien auftauchen. Beim Cybermobbing bekommen einzelne Personen Hass in Form von Nachrichten, Bildern und Kommentaren zu spüren. Täterinnen kennen ihre Opfer meist persönlich. Bei Hassrede hingegen richtet sich der Hass gegen ganze Gruppen wie zum Beispiel Ausländer oder Frauen. Täter bedienen sich hierbei oftmals Stereotypisierungen, drohen Gewalt an, streuen Fehlinformationen und verwenden herabwürdigende Sprache.

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