«Es war ein schlechter Tag für die Demokratie»
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Eklat bei Wahl in Thüringen:«Es war ein schlechter Tag für die Demokratie»

Nach AfD-Coup
Ministerpräsident Kemmerich fordert Neuwahlen

Bei der Wahl des Ministerpräsidenten in Thüringen kam es zu einem Eklat: Ein Kandidat der FDP wurde gewählt – auch dank der Stimmen der rechtspopulistischen AfD. Jetzt gibt der Neugewählte sein Amt überraschend wieder ab.
Publiziert: 06.02.2020 um 11:02 Uhr
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Aktualisiert: 11.02.2020 um 14:01 Uhr
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Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte das Vorgehen bei der Wahl in Thüringen «unverzeihlich». Neben ihr: der südafrikansiche Präsident Cyril Ramaphosa.
Foto: AFP
Martin Bruhin, Fabienne Kinzelmann

Thüringen ist nicht das grösste Bundesland Deutschlands, doch das politische Beben das dort ausgelöst wurde, ist riesig. Völlig überraschend wurde am Mittwochmittag der bisherige Landeschef Bodo Ramelow (63, Linke) abgewählt – er war seit 2014 im Amt. An seine Stelle trat FDP-Politiker Thomas Kemmerich (54). Er bekam im dritten Wahlgang 45 Stimmen, eine mehr als Ramelow. Offenbar stimmten neben seiner eigenen Partei sowie der CDU auch die rechtspopulistische AfD für ihn.

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Für viele ist das ein Tabubruch. Schliesslich hatte es die FDP bei der Landtagswahl im vergangenen Oktober nur knapp in den Landtag geschafft. Zudem wurden Sorgen laut, der FDP-Politiker Kemmerich könnte nun in der «Schuld» von Rechtsaussen Björn Höcke (47) stehen. Der AfD-Coup, der Kemmerich zum Ministerpräsidenten machte, löste landesweit Entsetzen aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel (65) nannte den Vorgang «unverzeihlich». Dennoch wollte Kemmerich anfänglich unbedingt regieren.

Kemmerich fordert Neuwahlen

Nun wirkt offenbar der Druck – auch aus der eigenen Partei. FDP-Christian Lindner (41) forderte seinen Parteikollegen Thomas Kemmerich am Donnerstag offenbar zum Rücktritt auf.

Um 14 Uhr gab der frischgewählte Ministerpräsident Kemmerich bekannt, dass er sein Amt wieder zur Verfügung stelle: «Der Rücktritt ist unumgänglich.» Die FDP-Fraktion werde die Auflösung des Landtags beantragen. Damit wolle man den «Makel» von seiner Wahl nehmen und Neuwahlen herbeiführen. Kemmerich stellte klar: Eine Zusammenarbeit mit der AfD werde es auch künftig nicht geben.

Kemmerich: «Gestern hat die AfD mit einem perfiden Trick versucht, die Demokratie zu beschädigen.» Weiter sagte er: «Demokraten brauchen demokratische Mehrheiten. Die sich offensichtlich in diesem Parlament nicht herstellen lassen.»

Dem Antrag müsste von mindestens einem Drittel der Thüringer Abgeordneten beschlossen werden. Dafür würden die Stimmen von Linke, SPD und Grüne locker reichen. Für den Antrag müssten dann mindestens zwei Drittel der Abgeordneten (60 von 90) stimmen. SPD, Grüne und Linke haben zusammen 42 Stimmen. Fast alle 21 CDU-Abgeordneten müssten sich also ebenfalls dafür aussprechen. Die FDP hat 5, die AfD 22 Abgeordnete im Landtag.

Kemmerich sagte zu: Sollte es im Landtag keine Unterstützung für den Antrag der FDP-Fraktion auf Neuwahlen geben, werde er die Vertrauensfrage stellen. Das ist die zweite in der Landesverfassung genannte Möglichkeit, um Neuwahlen herbeizuführen.

FDP-Chef Lindner will Vertrauensfrage stellen

Die FDP-Spitze bemüht sich nach der offenen Kritik sichtlich, das Ruder rumzureissen. Christian Lindner hatte für Kemmerichs Wahl wohl erst grünes Licht gegeben, nun machte er offenbar auf dem Absatz kehrt. Für das Gespräch mit Kemmerich, in dem er den regierungswilligen Parteikollegen wohl von der Kurswende überzeugte, reiste er am Donnerstag extra nach Erfurt.

Und auch für den FDP-Chef selbst könnte die Aktion noch weitreichende Konsequenzen haben. Am Freitag will Lindner laut Informationen der «Welt» innerhalb des Parteivorstands die Vertrauensfrage stellen. In zwei Wochen stehen in Hamburg zudem die Bürgschaftswahlen an, bei denen die Liberalen die Quittung für den Wahl-Knall in Thüringen bekommen könnten.

Ironie der Geschichte

Es ist eine demokratiefremde Forderung, die Angela Merkel von ihrem Staatsbesuch in Südafrika nach Erfurt schickt. «Das Ergebnis muss rückgängig gemacht werden», so die Kanzlerin. In ihrer Abwesenheit wurde in Thüringen Geschichte geschrieben. In so negativem Sinne, dass Merkel die Ministerpräsidenten-Wahl am liebsten ungeschehen machen würde. Dabei dürfte ihr klar sein: Auch Neuwahlen lassen den Tabubruch von Thüringen nicht vergessen.

Zumal das Szenario Neuwahlen nicht nur im ostdeutschen Bundesland droht, sondern auch auf nationaler Ebene. Der Koalitionspartner wetzt die Messer – und wittert seine Chance. Die SPD sucht als Juniorpartner schon seit Monaten einen Weg aus der ungeliebten Grossen Koalition. Nun stehen die Sozialdemokraten plötzlich auf der richtigen Seite. Ihr empörter Tenor: Die Bösen sind die CDU. Die Guten, das sind wir. Eine weitere Zusammenarbeit? Ausgeschlossen.

Merkel ahnt: Der «unverzeihliche Vorgang» ihrer Partei in Thüringen könnte sie das Amt kosten – und auf den letzten Metern ein unrühmliches Ende hinter 14 Jahre als Kanzlerin setzen. Sie wäre daran nicht unschuldig: In all den Jahren hat sie kein Rezept gegen die Gefahr von rechts gefunden. Die AfD punktete auch dank Merkels Politik und der Tatenlosigkeit ihrer Grossen Koalition.

Ironie der Geschichte: Ausgerechnet ein Pakt mit Rechtsaussen könnte ihre Kanzlerschaft nun abrupt beenden.

Daniel Riedel, Stv. Nachrichtenchef, Blick-Gruppe

Es ist eine demokratiefremde Forderung, die Angela Merkel von ihrem Staatsbesuch in Südafrika nach Erfurt schickt. «Das Ergebnis muss rückgängig gemacht werden», so die Kanzlerin. In ihrer Abwesenheit wurde in Thüringen Geschichte geschrieben. In so negativem Sinne, dass Merkel die Ministerpräsidenten-Wahl am liebsten ungeschehen machen würde. Dabei dürfte ihr klar sein: Auch Neuwahlen lassen den Tabubruch von Thüringen nicht vergessen.

Zumal das Szenario Neuwahlen nicht nur im ostdeutschen Bundesland droht, sondern auch auf nationaler Ebene. Der Koalitionspartner wetzt die Messer – und wittert seine Chance. Die SPD sucht als Juniorpartner schon seit Monaten einen Weg aus der ungeliebten Grossen Koalition. Nun stehen die Sozialdemokraten plötzlich auf der richtigen Seite. Ihr empörter Tenor: Die Bösen sind die CDU. Die Guten, das sind wir. Eine weitere Zusammenarbeit? Ausgeschlossen.

Merkel ahnt: Der «unverzeihliche Vorgang» ihrer Partei in Thüringen könnte sie das Amt kosten – und auf den letzten Metern ein unrühmliches Ende hinter 14 Jahre als Kanzlerin setzen. Sie wäre daran nicht unschuldig: In all den Jahren hat sie kein Rezept gegen die Gefahr von rechts gefunden. Die AfD punktete auch dank Merkels Politik und der Tatenlosigkeit ihrer Grossen Koalition.

Ironie der Geschichte: Ausgerechnet ein Pakt mit Rechtsaussen könnte ihre Kanzlerschaft nun abrupt beenden.

«Entscheidung spaltet unser ganzes Land»

Nach der Wahl Kemmerichs zum Ministerpräsidenten kam es am Mittwochabend deutschlandweit zu Protesten. In mehreren Ortschaften gingen Menschen auf die Strasse und forderten Kemmerichs Rücktritt. Doch der dachte erst gar nicht daran. Seine Wahl zum Ministerpräsidenten sah er als rechtmässig an.

Von allen Seiten hagelte es daraufhin Kritik. In den sozialen Medien wurde Kemmerich für seinen Kurs angefeindet. Rufe nach Neuwahlen gab es auch in seiner eigenen Partei. CDU-Politiker Paul Ziemiak (34) sprach am Mittwoch von einem schwarzen Tag für Thüringen. «Diese Entscheidung von heute spaltet unser ganzes Land», sagt er. Mit seiner Kritik steht er nicht alleine. Auch der CSU-Parteivorsitzende Markus Söder erklärte die Wahl als inakzeptabel.

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Merkel: «Das war kein guter Tag für die Demokratie»

Bundeskanzlerin Angela Merkel meldete sich am Donnerstag vom Staatsbesuch aus Südafrika zu Wort. «Das war kein guter Tag für die Demokratie», sagte sie an der Seite des südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa.

Was geschehen ist, sei «unverzeihlich» und müsse rückgängig gemacht werden. Dies verkündete sie auf einer Pressekonferenz bei der es eigentlich um die Beziehungen zwischen Südafrika und Deutschland ging.

«Widerspricht allem, was uns heilig ist»

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer forderte Neuwahlen. Grünen-Geschäftsführer Michael Kellner schrieb in einem Tweet sogar von «Verrat».

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Kemmerich wurde auch in den eigenen Reihen scharf kritisiert. Parteikollege und Mitglied des Deutschen Bundestags, Jens Brandenburg, forderte Kemmerich in einem Tweet zum Rücktritt auf: «Die Annahme der Nazi-Stimmen widerspricht allem, was uns Freien Demokraten heilig ist.»

Die Anfeindungen gegenüber Kemmerich sind so zahlreich, dass seine Familie inzwischen offenbar Polizeischutz benötigt. Wie der Nachrichtensender «ntv» mitteilt, seien seine Kinder am Donnerstag zum Teil unter Schutz der Polizei zur Schule gegangen.

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