Downtown San Diego, gestern Donnerstag, kurz vor Mittag: Ein Autofahrer lässt seinen Motor aufheulen, rast durch die zentrale Flanierstrasse der zweitgrössten Stadt Kaliforniens. Dass die nächste Ampel auf rot springt, kümmert ihn nicht. Wenige Augenblicke später ist er aus dem Sichtfeld. Die gespenstische Stille kehrt zurück. Hier im altehrwürdigen Gaslamp Quarter, wo sich normalerweise um die Mittagszeit Tausende Menschen in einem Restaurant oder einer Bar vergnügen, ist seit sieben Tagen wie leer gefegt.
Am Donnerstag vor einer Woche hat der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom (52) eine Ausgangssperre erlassen. Bedeutet: Alle nicht existentiellen Geschäfte mussten schliessen – Lieferservice und Take Out wären noch möglich. Doch nur die wenigsten Restaurants bieten das an. Seit jenem Donnerstag steht das öffentliche Leben in Kalifornien still. Auch in den Metropolen Los Angeles und San Francisco.
«Es ist schrecklich, heute ist mein vorerst letzter Tag», sagt Melanie Lee, die die letzte offene Kaffeebar im Zentrum San Diegos betreibt. Sie hat am Mittwoch in zehn Stunden nur acht Kunden bedient. «59 Dollar inklusive Trinkgeld habe ich verdient. Ich werde nun erstmal schliessen. Aber ich habe Angst, dass ich nie zurückkehren kann.» Mindestens drei Millionen Amerikaner hat es noch schlimmer getroffen als Lee. Laut der «New York Times» haben sich so viele Menschen in der vergangenen Woche arbeitslos gemeldet. Ein neuer Rekord!
Immerhin zeichnet sich ein ebenso historisches Hilfspaket aus Washington ab. Der Kongress hat sich auf ein Zwei-Billionen-Paket geeinigt. Der Senat hat bereits zugestimmt, das Repräsentantenhaus und Präsident Donald Trump (73) dürften nachziehen. Doch die wirtschaftlichen Sorgen rücken derzeit immer mehr in den Hintergrund.
New York ist das Epizentrum: «Es ist apokalyptisch»
Seit dem gestrigen Donnerstag sind die USA offiziell das am meisten betroffene Land in der Corona-Krise. Insgesamt gibts über 83'800 Infizierte – so viel wie nirgendwo sonst auf der Welt. Mehr als 1200 Menschen sind an Covid-19 bereits verstorben. Das marode Gesundheitssystem stösst an einigen Orten schon jetzt an seine Grenzen.
Kalifornien ist mit rund 4000 Fällen der am zweitstärkste betroffene Bundesstaat. Weil hier wesentlich mehr Infizierte vermutet werden, hat Trump ein Krankenhaus-Schiff nach Los Angeles beordert. Viel dramatischer ist die Lage derzeit im Bundesstaat New York. Auch dort soll ein Krankenhaus-Schiff am Montag anlegen, doch bereits am Donnerstag waren die ersten Spitäler lokalen Medien zufolge überlastet. Es mangelt an Betten und an Ausrüstung, speziell an lebensrettenden Beatmungsgeräten.
Der Gouverneur des Staats New York, Andrew Cuomo (62), wiederholte am Donnerstag, dass man zusätzlich 30'000 solcher Geräte benötigte. Trump schickte ihm Anfang Woche 400. «Was soll ich damit tun, wenn ich 30'000 brauche», sagte er genervt.
Das Elmhurst-Spital im Stadteil Queens hat es besonders schwer getroffen. Innert 24 Stunden sind dort 13 Patienten gestorben. Mittlerweile wurde vor dem Gebäude ein Kühlwagen platziert. Spital-Mitarbeiter Ashley Bray sagt in der «New York Times»: «Es ist apokalyptisch.» An anderen Orten in Manhattan wurden wie schon nach den Terrorangriffen vom 11. September 2001 Zelte aufgestellt, weil die Leichenhallen überfüllt sind. Ein Arzt aus der Stadt sagte gegenüber CNN: «Der Gedanke, dass wir hier in New York City sind, und so etwas passiert... es ist ein Szenario wie aus einem Dritte-Welt-Land.»
Trump will am Ostersonntag wieder aufmachen
Donald Trump hielt am Donnerstagabend eine Pressekonferenz im Weissen Haus ab. Dort sagte er vor Journalisten, die hohe Zahl bestätigter Infektionen in den USA liege daran, dass im Land so viele Tests durchgeführt würden. In anderen Ländern wie China wisse man zudem nicht, was die wirklichen Zahlen seien, so Trump weiter. Tatsächlich: Die USA haben in den vergangenen Tagen mit umfassenden Corona-Tests begonnen.
Im Februar und Anfang März wurde Trump noch dafür kritisiert, dass es zu wenige Tests gebe und er das Virus nicht ernst nehme. Der US-Präsident bezeichnete Covid-19 damals als «Scherz» und prognostizierte, dass die Erkrankung bis im April wie ein «Wunder» verschwinden würde. Mittlerweile hat er seinen Kurs auf grossen Druck hin geändert. Massnahmen wie Einreisestopps aus Europa und Grenzschliessungen zu Mexiko und Kanada sind Mitte März in Kraft getreten
Für hitzige Diskussionen sorgt derzeit die Forderung Trumps, dass bis am Ostersonntag wieder «Normalität» einkehren müsse. «Wir müssen das Land wieder öffnen», so Trump am Dienstag. Menschen sollen sich wieder versammeln dürfen und Geschäfte sollen öffnen können. Trump: «Ostern ist ein ganz besonderer Tag für mich ... Ostersonntag, und wir werden überall in unserem Land volle Kirchen haben», sagte er weiter.
Auch am gestrigen Donnerstag, als die USA offiziell zum Corona-Epizentrum der Welt wurde, hielt er an dieser Forderung fest. «Die Menschen wollen wieder arbeiten. Sie sollen das bald wieder können», sagte er im Weissen Haus. Experten warnen jedoch: Der USA steht das schlimmste noch bevor. Erst in zwei bis drei Wochen sei mit dem Höhepunkt zu rechnen.
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Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.
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