Als die Swissair-Maschine SR330 am 21. Februar 1970 im Wald bei Würenlingen AG zerschellt, ist Arthur Schneider, heute 79 Jahre alt, einer der Ersten am Unglücksort: «Ich wusste nicht, was genau passiert war, aber das Ausmass war schnell klar. Ich sah als Erstes eine abgetrennte Hand in einem Busch liegen. Kurz darauf: Überall Trümmer- und Leichenteile.» Schneider hat die Bilder noch genau im Kopf.
Damals Gemeinderat von Würenlingen, kennt er fast jedes Detail. Die Palästinenser, die eine Bombe an Bord der Maschine nach Tel Aviv geschmuggelt haben sollen. Die Umstände, die dazu führten. Die 47 Namen der Todesopfer, darunter elf Schweizer. Das Schicksal der Hinterbliebenen. Und er weiss alles über die mangelhafte Aufarbeitung des Falls.
Der Fall wurde rechtlich nie abgeschlossen
Die Täter wurden nie zur Rechenschaft gezogen. Das wirft Fragen auf. Denn obwohl es um den schwerwiegendsten Terrorangriff in der Geschichte der Schweiz ging, wurde der Fall trotz Beteuerungen des Bundesrats sowie der Bundesanwaltschaft (BA), man werde alles daransetzen, der Sache auf den Grund zu gehen, rechtlich nie abgeschlossen. 2018 legte BA-Chef Michael Lauber sie endgültig ad acta.
«Für die Angehörigen und Zeitzeugen ist der Fall heute noch sehr präsent», sagt Schneider am Ort des Grauens. Da die Bundesanwaltschaft nichts unternommen habe, ergriff er die Initiative und sammelte, was er kriegen konnte. Wetterkarten, Flugprotokolle, Zeitungsberichte, Archivalien. Das Resultat: 2015 erschien sein Buch «Goodbye Everybody» – benannt nach dem letzten Funkspruch des Piloten.
Spricht man mit weiteren Zeitzeugen, Angehörigen und Betroffenen, zeigt sich schnell: Sie schätzen Schneiders Engagement. «Er hat wunderbare Arbeit geleistet», meint etwa Maya Meier (90), die Frau des damaligen Gemeinde- präsidenten Ernst Meier. Auch sie engagierte sich.
«Wir haben uns damals um zwei Waisenkinder gekümmert. Ihre Eltern waren unter den Opfern.» Die Bevölkerung sei verzweifelt gewesen, «die Mädchen haben lange um ihre verstorbenen Eltern geweint». Meier zögert: «Was hätte man denn tun können, ausser zu helfen?»
Immer noch tiefe seelische Wunden
Hilfe von offizieller Seite kam nie – auch das ist fragwürdig. Selbst als die Bundesanwaltschaft 2018 entschied, der Sache nicht mehr nachzugehen, erfuhren es die Betroffenen aus der Zeitung. Arthur Schneider: «Das muss sich für viele wie eine Ohrfeige angefühlt haben.»
Die seelischen Wunden der Angehörigen sind tief. Manche können auf Anfrage von SonntagsBlick noch immer nicht über das Geschehen vor einem halben Jahrhundert sprechen, sie blocken ab. Bei anderen hat sich über die Jahre der Frust aufgebaut.
Angehörigen wurden ihrem Schicksal überlassen
Wie bei Ruedi Berlinger (58). Sein Vater war der Pilot von SR 330. «Damals, als Achtjähriger, habe ich das Ausmass noch nicht erkannt.» Erst im Laufe der Jahre habe er deutlicher gespürt: «Mein Gefühl für Recht und Ordnung in der Schweiz ist nur noch ein Scherbenhaufen.» Als Normalbürger sei er dem Staat ausgeliefert, sagt Berlinger nüchtern. Man habe die Angehörigen ihrem Schicksal überlassen.
Berlinger schrieb Bundesräte an, andere offizielle Stellen, hatte Fragen, wollte mehr wissen. Ein Bundesrat schrieb ihm kurz angebunden zurück. «Das ist immerhin eine Reaktion, wenn auch nur ein Lippenbekenntnis.» Zufriedenstellende Antworten erhielt er nie.
Heute könne er damit leben, aber noch hofft er, dass sich der Bundesrat oder die BA für ihr damaliges Verhalten zumindest entschuldigen.
Gedenkveranstaltung in Würenlingen
Kommenden Freitag findet in Würenlingen eine Gedenkveranstaltung statt – das Unglück jährt sich zum 50. Mal. Arthur Schneider und Ruedi Berlinger organisieren den Anlass. «50 Jahre, das hat hoffentlich eine öffentlich wirksame Symbolkraft», so Schneider.
Bisher ist aber weder ihm noch Berlinger bekannt, ob Vertreter der zuständigen Behörden teilnehmen werden. Und die BA äusserte sich auf Anfrage nicht weiter zum Fall.