Stau am Mount Everest. Dichtestress auf dem Dach der Welt. In Reih und Glied müssen die Bergsteiger vor dem Gipfel anstehen. Und riskieren, dabei an Erschöpfung und Sauerstoffmangel zu sterben. Mindestens elf von ihnen kamen in der aktuellen Saison bereits ums Leben.
Die gefrorenen Körper hängen noch am Hauptsicherungsseil (BLICK berichtete). Die nachkommenden Bergsteiger müssen an ihnen vorbeiziehen. Können nichts mehr für sie tun. Während sie selber um ihr Leben fürchten müssen. Einer von ihnen: der Aargauer Roman Tschupp (29), der den höchsten Berg der Welt am 23. Mai erklommen und den tödlichen Stau überlebt hat.
«Ich habe sechs Monate lang trainiert»
Die Exkursion zum Mount Everest trat er vor rund zwei Monaten mit sechs weiteren Bergsteigern in Begleitung von Sherpas mit der Organisation Adventure Consultants an. «Ich hatte sechs Monate zehn Stunden pro Woche trainiert», sagt er zu BLICK.
Die Reise aufs Dach der Welt begann mit einer zweiwöchigen Wanderung vom Ort Lukla bis ins Basislager. Um den Körper ans Klima zu gewöhnen, wanderte er mehrmals zu den höher gelegenen Camps und kehrte anschliessend wieder zurück. «Man leidet täglich an Kopfschmerzen, schläft nicht gut, hat keinen Hunger. Einige Personen mussten täglich Medikamente nehmen, weil es ihnen so schlecht ging», sagt der Bergsteiger.
«Man sieht den Tod neben sich»
Am 22. Mai brachen Tschupp und seine Gruppe gegen 22 Uhr zum Gipfel auf. Wurden sie in der ersten Stunde noch Zeugen von drei Rettungsaktionen, begegneten sie wenig später dem Tod. «Ich musste an zwei Leichen vorbeisteigen», erzählt der Aargauer geschockt. «Ein Körper lag direkt unter dem berühmten Hillary Step. Der tote Bergsteiger hing noch immer am Hauptsicherungsseil. Um an ihm vorbeizukommen, musste ich meine Sicherheitshaken kurz lösen. Man sieht den Tod direkt neben sich und kann nicht ausweichen. In diesen Momenten habe ich mir überlegt, ob ich mich wirklich stark genug fühle für den Aufstieg», so der 29-Jährige.
Doch eine Rückkehr war keine Option mehr. Der Aufstieg musste weitergehen. Zu seinem Glück ohne weitere Zwischenfälle. «Mit den letzten Schritten stieg der Adrenalinpegel. Es war überwältigend, endlich das Ziel zu erreichen. Mir kamen fast die Tränen. Weil diese aber auf über 8000 Metern einfrieren würden und somit auch meine Skibrille eingefroren wäre, habe ich die Freudentränen unterdrückt.»
Eine Person erlitt Erfrierungen
14 Stunden nach dem Aufbruch zum Gipfel war Tschupp wieder zurück im Camp 4. Nur weil sie den Gipfel so früh erreichten, konnten sie den Stau umgehen. «Eine Person vor mir war mit wenig Sauerstoff unterwegs und lief deshalb sehr langsam. Überholen wäre zu gefährlich gewesen, deshalb musste ich mein Tempo anpassen. Zum Glück musste ich nie anhalten», sagt er.
Während Tschupp den tödlichen Stau schadlos überlebt, mussten zwei Mitglieder seiner Gruppe aus gesundheitlichen Gründen abbrechen. Ein anderes Mitglied erlitt Erfrierungen an den Zehen.
Seit Dienstag ist Tschupp wieder in Dubai, wo er zurzeit lebt. Für ihn ist klar: Ein zweites Mal auf den Mount Everest will er nicht. «Es gibt schönere Berge auf der Welt. In Zukunft werde ich lieber andere Berge besteigen, wo es weniger Leute hat.»