«Einen solchen Unfall hab ich in fast zehn Jahren BLICK noch nie gesehen», entfährt es unserem Nachrichtenchef Sandro Inguscio – und der ist einiges gewohnt. Am frühen Sonntagmorgen raste ein hochmotorisierter Audi R8 mit 169 km/h in Galgenen SZ durch die 50er-Zone, hob in einem Kreisel ab und donnerte 50 Meter weiter in den ersten Stock eines Wohnhauses. Der Fahrer starb, das Haus brannte ab.
Zwei Tage später vor einer Baustelle auf der A3 bei Effingen AG: Ein Porsche Cayenne kracht mit überhöhter Geschwindigkeit auf einen Renault und schiebt ihn gegen den Anhänger eines Sattelschleppers – die drei Insassen des Renault werden zerquetscht.
Auch in den Wochen davor machten auffällig viele Unfälle nach demselben Muster Schlagzeilen: junge Fahrer, extrem motorisierte Autos, nicht selten gemietet oder gestohlen, grotesk überhöhte Geschwindigkeit.
Unfälle wie diese scheinen einem langjährigen Trend in der Unfallstatistik zu widersprechen. Die nämlich erzählt eine Erfolgsgeschichte – trotz massiv mehr Autos: Kamen Anfang der 1970er-Jahre jährlich rund 1700 Menschen im Strassenverkehr ums Leben, waren es zuletzt noch rund 230.
In der Zwischenzeit sind die Autos sicherer und die Gesetze strenger geworden: Gurtenpflicht, tiefere Alkoholgrenzwerte und Lichtobligatorium wurden eingeführt, Kreisel und Temposchwellen gebaut – die Zahl der Toten sank und sank, Jahr für Jahr.
In neuerer Zeit jedoch stagniert die Zahl der Opfer. Obwohl der damalige Verkehrsminister Moritz Leuenberger bereits vor fast 20 Jahren seine «Vision zero» lancierte: Kein Mensch soll mehr im Strassenverkehr sterben müssen. Können Digitalisierung, elektronische Assistenzsysteme, eines Tages sogar das völlig autonome Fahren diese Utopie Wirklichkeit werden lassen?
Tatsächlich gibt es in neuen Autos immer mehr und immer bessere Sicherheitsassistenten: akustische Hinweise, die bei der geringsten Abweichung vom Normalbetrieb ertönen, Spurhalter, die eingreifen, wenn ein Auto droht von der Fahrbahn abzukommen, vorausschauende Navigationssysteme, die vor Kurven automatisch abbremsen, Abstandsmesser, die von sich aus eine Notbremsung auslösen ... Die Systeme werden ständig umfassender und raffinierter, immer häufiger gehören sie sogar in Kleinwagen zur Serienausstattung.
Nur eine Komponente im modernen Autoverkehr hat bis heute keinerlei Fortschritte gemacht: der Mensch! Er ist und bleibt das grösste Risiko.
Der BMW kann nichts dafür, wenn der Fahrer den Assistenten ausschaltet, wie das bei den Boliden-Unfällen der Fall war. Der Audi kann nichts dafür, wenn sein Fahrer mit 169 statt 50 km/h blocht. Der Porsche Cayenne kann nichts dafür, wenn der Fahrer wie blind auf eine Baustelle zurast.
Politiker und Fahrlehrer fordern nach solchen Unfällen gerne ein PS-Limit für Autos von Neulenkern – wie generell reflexartig nach neuen Gesetzen gerufen wird, sobald irgendwo irgendetwas passiert.
Doch die Allgemeinheit wegen ein paar wenigen Unvernünftigen zu bestrafen, erhöht nicht die Sicherheit. Selbst ein Fahrverbot für Junglenker nützt nichts gegen die kriminelle Energie einzelner.
Gesetze sind keine Allheilmittel. Es sei denn, man würde den Menschen verbieten.