Das Parlament als Pfadilager
2:31
BlickPunkt zum Corona-Apéro:Das Parlament als Pfadilager

BlickPunkt über National- und Ständeräte in der Corona-Krise
Das Parlament als Pfadilager

Alle haben schwierige Monate des sozialen Verzichts hinter sich. Fast alle: Ein Teil unserer National- und Ständeräte foutierte sich um sämtliche Abstandsregeln und feierte beim Apéro. Ausgerechnet die Gesetzgeber, die besonders vorbildlich sein sollten!
Publiziert: 08.05.2020 um 22:42 Uhr
Christian Dorer, Chefredaktor Blick-Gruppe.
Foto: Shane Wilkinson
Christian Dorer, Chefredaktor Blick-Gruppe

Unser Parlament machte schon bisher keine besonders gute Figur in der Corona-Pandemie:

Die Frühlingssession wurde abgebrochen, die Kommissionsarbeit auf Eis gelegt. Das Parlament sah sich ausserstande, per Videokonferenz zu arbeiten – während Zehntausende von Unternehmen das innert Tagen problemlos geschafft hatten.

Viele unserer Nachbarstaaten zeigen, wie es geht: Dort arbeiten Regierung und Parlament seit Ausbruch der Corona-Krise noch enger als sonst Hand in Hand. Bei uns hingegen meldeten sich National- und Ständeräte kurzerhand in die Bedeutungslosigkeit ab.

Zum Glück haben wir einen Bundesrat, der in den Zeiten des Notstands zur Höchstform auflief und das Land mit Augenmass durch die Krise führte!

Diese Woche schliesslich kamen National- und Ständerat zur Sondersession zusammen. Den Steuerzahler lassen sie das 3,4 Millionen Franken kosten. Die Messehalle der Bernexpo musste Corona-tauglich hergerichtet werden: zwei Meter Abstand zwischen jedem Platz, mehrere immer wieder aufs Neue desinfizierte Rednerpulte, Plastiksäckli über jedem Mikrofon – vorbildlich eben.

Leider wurde die Veranstaltung nicht zur Sternstunde des Parlaments. Das Gros von 246 Volksvertretern liess keineswegs erkennen, dass sie ihren Job besonders ernst nehmen. Sie redeten vor allem für die Fernsehkameras. Sie bewilligten hier und da zusätzliche Mittel für bestimmte Branchen. Sie verzögerten die Einführung einer dringend benötigten Tracing-App – mindestens bis zum Sommer. Es war eine Machtprobe mit dem Bundesrat, der mit der Smartphone-Anwendung so rasch wie möglich auf die Verantwortung jedes Einzelnen setzen wollte, um die Weitergabe des Virus trotz Lockerungsmassnahmen zu stoppen.

Nicht wenige Parlamentarier aber trieb offenbar vor allem eine Frage um: Wo gibt es hier Alkohol? Wo können wir feiern, wenn schon die gewohnten Gratis-Einladungen ausbleiben?

Und so öffnete Henris, das Restaurant der Bernexpo, extra für die Apéro-lustigen Parlamentarier. Während sie sich tagsüber als Volks-Vorbilder in Szene setzten, liessen sie am Abend die Hemmungen fallen: Wie BLICK enthüllte, feierten 50 bis 100 von ihnen am Dienstag feuchtfröhlich und dicht geballt bis gegen Mitternacht. Als befände sich nicht gerade das ganze Land im Lockdown. Als gäbe es keine Fünf-Personen-Vorschrift. Als gälten die Abstandsregeln nur für das gemeine Volk.

Während für Normalbürger alle Restaurants geschlossen sind, liessen es die Parlamentarier im Messerestaurant krachen! Während die Polizei jede private Ansammlung sofort auflöst oder sogar Bussen verteilt, schaute sie tatenlos zu.

Die feiernden Politiker verwechselten die Session mit einem Pfadilager. Und bewiesen damit, dass sie noch nicht begriffen haben, welche Verantwortung sie als oberste Gesetzgeber tragen. Und was es bedeutet, eine Vorbildfunktion innezuhaben.

Sie sollen sich dann aber auch bitte nie wieder wundern, wenn ihnen aus dem Volk Misstrauen entgegenschlägt – und die Menschen sagen: Oben in Bern machen sie eh, was sie wollen!

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?