Was uns der Corona-Alarm in der Waadt lehrt
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BlickPunkt über Neuinfektionen:Was uns der Corona-Alarm in der Waadt lehrt

BlickPunkt über die vielen Neuinfektionen
Was uns der Corona-Alarm in der Waadt lehrt

Die Waadt ist zum Corona-Hotspot geworden. Doch statt den Romands Vorwürfe zu machen, sollten wir lieber nachdenken – was zu tun ist, wenn die Zahl der Neuinfektionen auch bei uns explodiert.
Publiziert: 18.09.2020 um 23:17 Uhr
Christian Dorer, Chefredaktor der Blick-Gruppe.
Foto: Shane Wilkinson
Christian Dorer, Chefredaktor Blick-Gruppe

Ein Drittel aller Neuinfektionen in der Schweiz entfallen derzeit auf die Waadt: Dort sind 6,5 Prozent der Getesteten Corona-positiv – gegenüber 2,5 Prozent in Zürich. Und so schulmeistert der «Tages-Anzeiger»: «Wer in einem wichtigen Bereich schlechter als alle anderen dasteht, sollte gründlich in sich gehen. Und handeln.»

Auch die Reaktionen in den Leserbriefspalten fallen nicht anders aus: «Der Kanton reisst die Schweiz in den Abgrund», empört sich einer. «Es kann nicht sein, dass disziplinierte Deutschschweizer unter der Unfähigkeit der Romands leiden!», schnödet ein anderer.

Dumm nur: Kein Mensch weiss, warum sich gerade im Westen des Landes mehr Menschen anstecken als anderswo.

Partys feiern auch junge Berner, Basler oder Briger, Grenzgänger fahren nicht seltener nach Genf, Neuenburg und Delsberg. Und dass im Waadtland das Contact Tracing so viel schlechter funktionieren soll, ist eine unbewiesene Behauptung.

Gut, die Westschweizer heben auch ihrerseits gern den Mahnfinger und weisen darauf hin, dass die Waadt als erster Kanton die Maskenpflicht in Geschäften eingeführt habe und Deutschschweizer beim Maskentragen weniger diszipliniert seien …

Aber was bringt es, jetzt abwechselnd den Schwarzen Peter über den Röstigraben zu schieben? Wir sollten uns lieber klar machen, dass Neuinfektionen mit dem Coronavirus ohne ersichtlichen Grund sehr schnell sehr rasch zunehmen können.

Nur: Was machen wir dann?

So lange nicht Massen von Todesopfern zu beklagen sind, akzeptiert die Mehrheit keinen zweiten Lockdown. Schliesslich wissen wir heute sehr viel mehr über Covid-19 als im Frühjahr: Wie wir uns wirksam schützen, wie Patienten behandelt werden müssen – und vor allem, dass eine Erkrankung für Jüngere in der Regel unangenehm, aber nicht lebensbedrohlich ist. Weshalb Hospitalisierungen und Todesopfer selten sind, obwohl die Fallzahlen kontinuierlich steigen.

Man wird die jungen Menschen mit noch so viel Solidaritsätsappellen nicht davon abhalten können, zur Normalität zurückzukehren.

Obwohl auch sie wissen: Für Angehörige von Risikogruppen verläuft eine Infektion mit Covid-19 nicht selten tödlich; laut Zahlen des Bundes gilt das für 27,5 Prozent der über 80-Jährigen. Allein in der Waadt starben letzten Monat neun Erkrankte in Altersheimen.

Das ist natürlich kein Grund, einfach alle Rentner zu Hause festzuhalten, wie das der Kanton Uri im Frühling versucht hat – und die Massnahme dann unter Proteststürmen nach ein paar Tagen zurücknehmen musste.

Es führt endgültig kein Weg mehr vorbei an einer für uns alle unbequemen Erkenntnis: Egal, was das Bundesamt für Gesundheit und die Kantonsregierungen empfehlen, verbieten oder verfügen – jeder Einzelne von uns sollte jetzt seine ganz persönliche Corona-Risikoabwägung treffen und in Eigenverantwortung darüber entscheiden, was er oder sie angesichts des Infektionsrisikos tut und lässt.

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