Nach der Krise ist vor der Krise
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BlickPunkt zur zweiten Welle:Nach der Krise ist vor der Krise

BlickPunkt über den Stand der Corona-Pandemie
Nach der Krise ist vor der Krise

Wir sind zurück in der Normalität. Wirklich? Das Ende des Corona-Notstands bedeutet vielleicht nur die Ruhe vor einem doppelt gefährlichen Sturm: einer zweiten Welle von Infektionen und einer Welle von Entlassungen.
Publiziert: 26.06.2020 um 23:15 Uhr
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Aktualisiert: 27.06.2020 um 08:51 Uhr
Christian Dorer, Chefredaktor Blick-Gruppe.
Foto: Shane Wilkinson
Christian Dorer, Chefredaktor Blick-Gruppe

Vor eineinhalb Wochen hob die Schweizer Regierung die letzten Corona-Massnahmen auf. Simonetta Sommaruga sagte strahlend: «Am besten geniessen wir den Sommer in unserem wunderschönen Land!»

Die Bundespräsidentin hat recht, wir können zufrieden sein: Die Schweiz hat mit vorbildlicher Lockdown-Disziplin viele Todesfälle verhindert. Die Zahl der Ansteckungen fiel beinahe auf null. Das Leben fühlt sich fast wieder normal an. Die Menschen im Land sind wieder fröhlich und unbeschwert.

Doch das Virus ist nicht aus der Welt. Es ist nicht einmal auf dem Rückzug – und schon gar nicht besiegt!

Die Zahl der Neuinfektionen liegt so hoch wie nie. Global erkranken Tag für Tag mehr als 180'000 Menschen an Covid-19, allen voran in den USA und in Südamerika. Länder, die das Virus längst besiegt glaubten, werden von einer zweiten Welle erfasst: Israel meldet wieder so viele Fälle wie vor zwei Monaten, Peking ist erneut im Lockdown, in der deutschen Tönnies-Fleischfabrik steckten sich 1500 Angestellte an, die Regierung von Nordrhein-Westfalen verhängte eine Ausgangssperre über die Corona-Hotspots Gütersloh und Warendorf.

Die Situation erinnert an die Lage im Februar. Auch damals gab es mehr als genügend Warnungen aus anderen Ländern, und doch glaubte in der Schweiz kaum einer, dass es auch uns treffen könnte. Selbst wenn wir noch immer nicht alles über das Virus wissen und es ständig für neue Überraschungen sorgt: Alles spricht dagegen, dass die Infektionszahlen hierzulande jetzt einfach tief blieben!

Die Lage der Wirtschaft ist schon jetzt definitiv beunruhigend: Kein Tag vergeht ohne Entlassungen. Das besorgniserregendste Beispiel dieser Tage ist Hotelplan – der Reisekonzern streicht 170 seiner 1200 Stellen in der Schweiz. Ganz schlimm wird es, wenn die Kurzarbeit ausläuft, während gleichzeitig der Stellenmarkt einbricht.

Das Staatssekretariat für Wirtschaft sieht für nächstes Jahr eine Arbeitslosenquote von 4,1 Prozent voraus – im internationalen Vergleich ist das zwar immer noch tief, aber beinahe doppelt so hoch wie vor der Krise. Und nicht zu vergessen: Es geht um 200'000 Einzelschicksale, im schlimmsten Szenario sogar um 300'000 Menschen, die nicht einmal dann einen Job finden werden, wenn die befürchtete zweite Infektionswelle ausbleibt.

Sollen wir den Sommer trotzdem geniessen, wie die Bundespräsidentin empfiehlt?

Nun, wir sollten beides: uns freuen und vorsichtig sein! Die elementaren Sicherheitsregeln einhalten, die Corona-App installieren und uns auf unruhige Monate einstellen – mit Fortschritten und Rückschlägen, mit Lockerungen und punktuellen Verschärfungen.

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