Professor Hengartner erklärt
Masseneinwanderungsinitiative 2.0

Michael Hengartner ist Präsident des ETH-Rats – und damit so etwas wie der Chef-Forscher der Schweiz. In seiner Kolumne erklärt er Wissenswertes aus der Wissenschaft. Diese Woche: die Folgen der Begrenzungs-Initiative für den Wissensplatz Schweiz.
Publiziert: 30.08.2020 um 16:15 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2020 um 16:48 Uhr
Michael Hengartner (53) ist Präsident des ETH-Rats und neuer Kolumnist. Zuvor war der Biochemiker Rektor der Universität Zürich.
Foto: Nathalie Taiana
Michael Hengartner

Meine heutige Kolumne wird nicht allen gefallen. Aber ich schreibe ja nicht, um zu gefallen, sondern um zu informieren. Also, los gehts.

Bildung, Forschung und Innovation leiden

Am Donnerstag habe ich an einer Medienkonferenz teilgenommen. Es ging um die Begrenzungs-Initiative, über die wir Ende September abstimmen. Mit dabei waren die Rektorenkonferenz der Schweizer Hochschulen, die Akademien der Wissenschaften, der Schweizerische Nationalfonds und die Schweizerische Agentur für Innovationsförderung, welche Schweizer Start-ups unterstützt. Wir kamen zusammen, um unsere gemeinsame Ablehnung der Begrenzungs-Initiative der Öffentlichkeit mitzuteilen.

Es ist sehr selten, dass wir alle zusammen auftreten, um den Bürgerinnen und Bürgern unsere Position zu einem politischen Thema zu präsentieren. Bei der Masseneinwanderungs-Initiative waren wir sehr zurückhaltend – und das war ein Fehler. Denn Bildung, Forschung und Innovation gehörten damals zu den Ersten, die unter den Konsequenzen litten. Schweizer Studierende durften danach nicht mehr beim Erasmus-Austauschprogramm mitmachen. Schweizer Forschende und KMU wurden zuerst ganz und dann teilweise aus den EU-Forschungsprogrammen ausgeschlossen. Das war ein wenig so, wie wenn man den Schweizer Fussballklubs aus politischen Gründen verboten hätte, in der Champions League mitzuspielen.

Nicht überraschend büsste der Wissensplatz Schweiz international an Attraktivität ein. Der Schaden für die Schweizer Wissens- und Innovationslandschaft war gross, und die negativen Auswirkungen sind noch immer spürbar.

Wir brauchen die internationale Zusammenarbeit

Forschung ist heute international. Das ist ein Fakt. Im ETH-Bereich entstehen rund zwei Drittel aller Publikationen in internationaler Zusammenarbeit. Rein nationale Forschung wird immer seltener. Denken Sie an Covid-19, den Klimawandel oder die Medizin. Hier braucht es internationale Zusammenarbeit und die klügsten Köpfe nicht nur aus der Schweiz, sondern auch aus dem Ausland, um die besten Lösungen zu finden. Die Schweiz, so innovativ sie ist, kann das nicht alleine. Die EU ist unser wichtigster Partner, weit vor den USA und Asien. Das gilt sowohl für die Wirtschaft als auch für die Hochschulen und Forschungsorganisationen. Wir brauchen die enge Zusammenarbeit mit Europa, wir brauchen die Teilnahme an den EU-Forschungsprogrammen, und wir brauchen die Personenfreizügigkeit.

Für uns Vertreterinnen und Vertreter aus Bildung, Forschung und Innovation, für unsere Start-ups wäre eine Annahme der Begrenzungsinitiative sehr schädlich. Mittelfristig würde aber das ganze Land darunter leiden. Denn aus der Forschung und Innovation von heute entsteht die Wettbewerbsfähigkeit von morgen. Es ist mir wichtig, dass Sie dies wissen, wenn Sie Ihren Entscheid an der Urne fällen.

Natürlich sind Sie in Ihrem Entscheid vom 27. September frei. Aufgabe der Wissenschaft ist es, die Fakten zu liefern. Aufgabe der Politik ist es, eine Entscheidung zu treffen und die Verantwortung für die Folgen zu tragen. Die Politik, das sind in diesem Fall Sie.

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