Die «Mutter aller Abstimmungen» kommt in der Corona-Pandemie als Mütterchen daher. Am 27. September entscheidet die Bevölkerung über die SVP-Initiative «für eine massvolle Zuwanderung»: Die Personenfreizügigkeit mit der EU sei zu kündigen. Der Regierung wird die halsbrecherische Frist von zwölf Monaten für Austrittsverhandlungen eingeräumt.
Angesichts der Brisanz wäre das in normalen Zeiten die dominierende Sache. Aber zwischen falschen Covid-Toten und Massenentlassungen verschwindet die Vorlage in der Öffentlichkeit wie ein Hinterbänkler im Parlamentarier-Apéro.
Dazu kommen die schlechten Zustimmungswerte in den Umfragen. Weshalb es sich das Nein-Lager leisten kann, den Abstimmungskampf vom Bett aus zu führen. Mit Ausnahme von Bundesrätin Karin Keller-Sutter sind die Gegner kaum zu sehen – wo stecken sie eigentlich? Von den Wirtschaftsverbänden nimmt man vor allem das öffentliche Gezänk zwischen Economiesuisse und Gewerbeverband wahr.
Schlechter als die Gegner sind nur noch die Befürworter aufgestellt. Die Initianten scheinen den Glauben an den eigenen Mut verloren zu haben.
Es war geradezu rührend, wie der scheidende SVP-Präsident Albert Rösti gestern an der Delegiertenversammlung seinen Nachfolger Marco Chiesa ermunterte: Ein Parteichef sei wie ein Fussballtrainer. «Marco, du wirst wieder Tore schiessen! Am 27. September zum Beispiel.»
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Kurz darauf besann sich der Berner, was er da dem 45-jährigen Tessiner gerade angetan hatte. Rösti eilte ans Mikrofon zurück und appellierte an die SVP-Basis: «Messen Sie ihn nicht an diesem Resultat!» Eine eher plumpe, aber umso liebenswertere psychologische Einstimmung auf eine Niederlage an der Urne. Die Partei, die 1992 und 2014 ihre beiden grossen europapolitischen Siege errungen hatte, scheint diesmal die Sensation zu verpassen. Das wäre gut so; die Schweiz sollte in diesen Zeiten kein politisches Versuchslabor sein.
Rösti hat auch noch betont, dass eine Niederlage in seiner und nicht Chiesas Verantwortung wäre. Dem Hoffnungsträger wird das nichts nützen.