Der Stern von Albert Rösti als aussichtsreichster Bundesratskandidat ging in dem Augenblick auf, als Christoph Blocher den Berner Oberländer fallen liess.
Das war vor bald drei Jahren, als die SVP bei den Nationalratswahlen auf 25,6 Prozent gekommen war – für den Patriarchen aus Herrliberg ein Desaster. Blocher sah im damaligen SVP-Präsidenten den Schuldigen und drängte Rösti zum Rücktritt. (Dafür schickte er unter anderem seinen Getreuen Toni Bortoluzzi vor, der Rösti öffentlich zu Kleinholz machte.) Rösti fühlte sich gedemütigt, machte aus der Situation dann aber wahrlich das Beste: Er startete im Nationalrat als Sozial-, Gesundheits- und Energiepolitiker durch. Dabei sammelte er Sympathien bei den anderen Bundeshausfraktionen. Alles künftige Rösti-Wähler.
Vor einem Jahr bemerkte die «NZZ» in einem Beitrag über die Altersvorsorge, die SVP sei «weitaus kompromissbereiter unterwegs als früher». Ein Grund: «Der frühere Parteipräsident Albert Rösti hat sozial- und gesundheitspolitisch zusehends eine Führungsrolle eingenommen.» Wenig später fand Rösti als erster Vertreter der nationalen SVP warme Worte für die Solarenergie – eine Verneigung in Richtung des für Umweltfragen aufgeschlossenen Lagers.
Selten hat jemand so geschmeidig eine Bundesratskandidatur vorbereitet wie der Mann aus Uetendorf. Seine Wandlung vom Parteivorsitzenden unter Christoph Blocher zum mehrheitsfähigen SVP-Exponenten erfolgte subtil. So tauschte Rösti unlängst das Präsidium von Swissoil, einer Lobbyorganisation der Ölindustrie, mit jenem von Auto-Schweiz. Sind Öl und Auto nicht Hans was Heiri? Eben nicht ganz: Als oberster Autoverkäufer im Parlament setzt sich Rösti jetzt für die Förderung der Elektromobilität ein. Ölbert Rösti gibt sich einen Anstrich von Öko.
Nüchtern betrachtet ist ein Elektro-SUV selbstverständlich kein grünes Gefährt. Und selbstverständlich bleibt der Elektro-SVPler seinen rechten Überzeugungen treu. Das demonstrierte er in der Herbstsession Abstimmung für Abstimmung. Rösti war gegen den Schutzstatus S für Menschen aus der West-, Zentral- und Nordukraine, er war gegen die staatliche Unterstützung für Kitas, er war gegen den Erhalt der biologischen Artenvielfalt. Gleichwohl laufen im Bundeshaus die Wetten, dass mit einem Albert Rösti in der Exekutive mehr Staat zu machen wäre als mit den heutigen SVP-Magistraten Ueli Maurer und Guy Parmelin. Der Optimismus reicht teilweise sogar bis zu einer pragmatischeren Aussenpolitik, also einem entspannteren Verhältnis zur EU. Doch sind das nicht allzu vage, um nicht zu sagen naive Hoffnungen? Zumindest fällt auf, wie krampfhaft Christoph Blochers engste Gefolgschaft derzeit versucht, die Kandidatur von Albert Rösti zu verhindern. (Dass ihn Blocher selbst als wählbar bezeichnet, tut nichts zur Sache: Natürlich kann er einen früheren Parteipräsidenten, der sich bislang stets loyal gezeigt hat, nicht offen für unerwünscht erklären.)
In jedem Fall könnte ein Bundesrat Rösti, wenn er denn tatsächlich will und mutiger ist als zu seiner Zeit als Parteipräsident, unter anderen Voraussetzungen politisieren als Maurer und Parmelin. Ersterer ist ein Bundesrat von Blochers Gnaden. Man braucht sich bloss in Erinnerung zu rufen, wie Maurer vor 14 Jahren in die Landesregierung gelangte: mit dem Zufallsmehr von einer einzigen Stimme – und dies auch nur, weil Blocher dem Thurgauer SVP-Nationalrat Hansjörg Walter eine Kandidatur verbot. Die Szene, wie Walter das Parlament anflehte, ihm bitte keine Stimme zu geben, gehört zu den Tiefpunkten der Schweizer Demokratiegeschichte. Maurer gefällt sich zwar in der Rolle des launischen Eigenbrötlers; abgesehen von einigen Provokationen ist es ihm freilich nie gelungen, ein eigenständiges politisches Profil zu entwickeln. Wozu eben auch gehört hätte, in entscheidenden Momenten über den eigenen Schatten zu springen.
Guy Parmelin wiederum war zwar nicht der Favorit der SVP-Oberen für den Bundesrat. Der Waadtländer gehörte seinerzeit allerdings zu den Leichtgewichten im Parlament und steht seit seinem Aufstieg ins höchste Amt unter dem unmittelbaren Einfluss aus Herrliberg; Christoph Blocher stellte Parmelin sogar den ehemaligen Geschäftsführer seiner eigenen Investmentfirma als engsten Berater an die Seite. Wie stark dieser Einfluss ist, machte unter anderem Parmelins peinliche Rolle bei der Versenkung des Rahmenabkommens im Mai 2021 deutlich.
Albert Rösti dagegen würde eine allfällige Wahl gerade dem Umstand verdanken, dass Blocher ihn zunächst als SVP-Präsidenten an sich gebunden, später jedoch verstossen, mithin von vielen Zwängen befreit hat. Wenn der 55-Jährige als Bundesrat mit der gleichen politischen Intelligenz agiert, die er in den letzten Monaten an den Tag gelegt hat, dann ist von ihm einiges zu erwarten.