Tariq Ramadan wird vom 15. bis zum 17. Mai wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung vor dem Genfer Strafgericht stehen. Ramadan war der Superstar der muslimischen Jugend Europas. 2017 war er am Höhepunkt seiner Karriere, als das Emirat Katar ihn als Professor für Contemporary Islamic Studies an der Universität Oxford in Grossbritannien installierte.
Politiker wie Tony Blair und David Cameron hatten ihn zur Bekämpfung des islamistischen Extremismus engagiert. Wer ist der Mann, den der Journalist Ian Hamel als «Hochstapler» bezeichnet?
Wer Tariq Ramadan ist
Vor rund 100 Jahren gründete der ägyptische Lehrer Hassan al-Banna, Tariq Ramadans Grossvater, die islamistische Muslimbruderschaft, deren Ziel die Errichtung eines Gottesstaates ist. Terrornetzwerken wie Al Kaida, Islamischer Staat, Boko Haram, Hamas und vielen anderen mehr dient die Ideologie der Organisation als Vorlage.
Al-Banna wurde in Ägypten hingerichtet, sein Sekretär und Schwiegersohn Saïd Ramadan, der Vater von Tariq, liess sich 1958 in Genf nieder. Von Saudi-Arabien fürstlich bezahlt, hatte er den Auftrag, einen politischen Islam in Europa und Amerika zu implementieren. 1961 gründete er mit saudischen Geldern das Genfer Islamzentrum, das heute von seinem Sohn und Tariqs Bruder Hani Ramadan geleitet wird.
Damit war die Saat für viele heutige Probleme mit dem politischen Islam in Europa gelegt. Jahrelang unterstützte Katar Tariq Ramadan monatlich mit 35'000 Euro, wie zwei französische Journalisten enthüllt haben.
Worum es beim Fall Ramadan geht
Vier Frauen in Frankreich und eine 57-jährige, in ihrer Jugend zum Islam konvertierte Frau in der Schweiz beschuldigen den 61-Jährigen, sie wiederholt misshandelt, geschlagen und vergewaltigt zu haben.
Zu Beginn der Ermittlungen hatten seine Fans Kampagnen für ihn durchgeführt und die mutmasslichen Opfer bedroht. Die Betroffenene Christelle sagt: «Er hat unser Leben zerstört.»
Der Fall in der Schweiz ist von besonderer Tragweite, da vermutet wird, dass es neben der Klägerin Brigitte weitere Opfer gibt, die aus Angst vor Repressalien durch Ramadans Anhänger schweigen. Die Anschuldigungen reichen in die Zeit zurück, als er einen Lehrauftrag in der Schweiz innehatte. Laut der «Tribune de Genève» versuchte Ramadan damals erfolglos, eine seiner 14-jährigen Schülerinnen zu verführen, hätte aber bei drei anderen Schülerinnen (15 und 18 Jahre alt) Erfolg gehabt.
Urteil am 24. Mai erwartet
Die Genfer Regierung hatte Ermittlungen zu Ramadans Fehlverhalten eingeleitet und einen vernichtenden Bericht veröffentlicht. Lange hatte Ramadan die Vorwürfe bestritten und von einer rassistischen und islamophoben Verschwörung gesprochen. Doch am 12. Juli 2022 entschied die Pariser Staatsanwaltschaft, dass die Beweislage ausreicht, um ein Verfahren einzuleiten.
Noch ist die Politik zögerlich, wenn es um die Muslimbruderschaft und ihre Vertreter geht. Ihre Financiers treten als Investoren auf, mit denen man es sich nicht verscherzen will. Wie auch immer das Urteil am 24. Mai in Genf ausfallen wird, es wird hoffentlich eine Diskussion auslösen, welche Rolle der politische Islam in einer demokratischen Gesellschaft spielen soll.
* Saïda Keller-Messahli ist Präsidentin des Forums für einen fortschrittlichen Islam. Sie kam in Tunesien zur Welt und wuchs in der Schweiz auf.