Die französischen Medien kennen zurzeit nur ein Thema: den Schweizer Islamwissenschaftler und Publizisten Tariq Ramadan (57). Grund für die Berichterstattung ist das Buch «Devoir de vérité» (deutsch: «Pflicht zur Wahrheit»), das Ramadan am Mittwoch trotz massiver Gegenwehr veröffentlich hat. Darin nimmt er Stellung zu Missbrauchsvorwürfen, die sechs Frauen gegen ihn richten. Sein klarer Tenor: Die Anschuldigungen seien erstunken und erlogen.
Der Ägypten-stämmige Ramadan war im Januar 2018 bei seiner Einreise nach Frankreich verhaftet worden und verbrachte fast zehn Monate in Untersuchungshaft. Grund für die Festnahme war eine Anzeige der französischen Autorin und Frauenrechtlerin Henda Ayari (42). Ayari war zehn Jahre lange mit einen Salafisten verheiratet, hatte sich aber von der extremen Strömung des Islams losgelöst und 2016 einen Autobiografie unter dem Titel «J’ai choisi d’être libre» (deutsch: «Ich habe die Freiheit gewählt») veröffentlicht.
Verärgerte Muslime machten ihr darauf die Hölle heiss: Ayari musste wegen massiven Drohungen zeitweise untertauchen und stand unter Polizeischutz.
Ayari suchte bei Ramadan Halt
In der Zeit ihrer Neuorientierung 2012 hatte Henda Ayari bei Ramadan Halt gesucht und auch sexuellen Kontakt gepflegt. In ihrem Buch schreibt sie – ohne Ramadans Namen zu nennen –, dass sie dabei vergewaltigt worden sei. Nachdem Ayari den Genfer angeklagt hatte, reichten fünf weitere Frauen in Frankreich, der Schweiz und den USA Anzeige wegen sexuellen Übergriffen ein.
Der Genfer Tarik Ramadan gilt als ein Vordenker eines europäischen Islam, wird aber auch oft als Vordenker des Islamismus kritisiert. Seit 2009 ist er Professor für Islamwissenschaft an der Oxford University, seine Tätigkeit ruht jedoch aufgrund des Vorwurfs sexueller Übergriffe.
Sein Grossvater mütterlicherseits ist der Begründer der Muslimbrüder, Hassan al-Banna, sein Vater, Said Ramadan, war führender Aktivist und Vertreter der Muslimbrüder. Die Muslimbruderschaft gilt in westlichen Ländern als radikal-islamistische Organisation. Nach dem Umsturz in Ägypten 2013 und der darauffolgenden Absetzung Mohammed Mursis wurde die Muslimbruderschaft in Ägypten verboten und als Terrororganisation eingestuft.
Ramadan hat mehrere Bücher über den Islam in Europa geschrieben und gilt jungen Muslimen als Vorbild für die Integration. Kritiker halten ihn für einen Wolf im Schafspelz und werfen ihm Doppelzüngigkeit vor. Bis Frühling 2010 war ihm die Einreise in die USA verboten.
Der Genfer Tarik Ramadan gilt als ein Vordenker eines europäischen Islam, wird aber auch oft als Vordenker des Islamismus kritisiert. Seit 2009 ist er Professor für Islamwissenschaft an der Oxford University, seine Tätigkeit ruht jedoch aufgrund des Vorwurfs sexueller Übergriffe.
Sein Grossvater mütterlicherseits ist der Begründer der Muslimbrüder, Hassan al-Banna, sein Vater, Said Ramadan, war führender Aktivist und Vertreter der Muslimbrüder. Die Muslimbruderschaft gilt in westlichen Ländern als radikal-islamistische Organisation. Nach dem Umsturz in Ägypten 2013 und der darauffolgenden Absetzung Mohammed Mursis wurde die Muslimbruderschaft in Ägypten verboten und als Terrororganisation eingestuft.
Ramadan hat mehrere Bücher über den Islam in Europa geschrieben und gilt jungen Muslimen als Vorbild für die Integration. Kritiker halten ihn für einen Wolf im Schafspelz und werfen ihm Doppelzüngigkeit vor. Bis Frühling 2010 war ihm die Einreise in die USA verboten.
In einem Fernseh-Interview auf «BFMTV» vor einer Woche wehrte sich Ramadan gegen die Anschuldigungen. «Ich habe nie Gewalt angewendet, ich bin ein Mann des Friedens», beteuerte er. Er bezeichnete die Klägerinnen als Lügnerinnen, die sich gegen ihn verschworen und ihn in eine Falle gelockt hätten. Er gab allerdings zu, anfänglich selber gelogen zu haben, als er eine sexuelle Beziehung zu Henda Ayari abgestritten hatte.
Die Anwälte der Klägerinnen hatten versucht, die Publikation von Ramadans Buch zu stoppen. Vergeblich.
Massivst mehr Drohungen
Die im französischen Rouen lebende Henda Ayari ist über Ramadans Buch und den TV-Auftritt entsetzt. Auf Facebook schreibt sie über den Genfer: «Er lügt, wie er atmet, und hört nicht auf, mich zu verleumden.» Ramadan habe seine Macht angewendet, um schwache und zerbrechliche Frauen zu missbrauchen. Ayari: «Sein Ziel – er will alle, die sich zu reden getrauen, zerstören!»
Seit der Veröffentlichung von Ramadans Buch haben die Bedrohungen wieder massiv zugenommen. Diese Woche hat die Polizei einen 36-jährigen Mann verhaftet, der Ayari während Tagen verfolgt hatte. «Es ist der wahre Albtraum», klagt sie. Sie müsse sich ständig verkleiden, um auf der Strasse nicht erkannt zu werden. Sie werde «belästigt, beleidigt und eingeschüchtert». Sie verspüre nur noch «Wut, Unverständnis und Trauer».
Sie, die sich mit ihrer Organisation Libératrices («Befreierinnen») um Opfer kümmert, habe zurzeit keine Kraft, anderen Frauen in gleicher Situation zu helfen. Kraft würden ihr im Moment einzig ihr Glaube sowie die Hoffnung auf Gerechtigkeit geben.
Odyssee bis zum Gerichtstermin
Henda Ayari hat sich einen Anwalt genommen. Jonas Haddad beschuldigt Ramadan, die Klägerinnen bewusst in den Dreck zu ziehen. Haddad: «Er hat dies getan, indem er falsche Informationen und unangenehme Praktiken erwähnte, die meine Klientin nie ausgeführt hat.»
Der Fall wird frühestens im kommenden Jahr vor ein Gericht kommen – eine Unendlichkeit für Henda Ayari. Sie schreibt: «Ich habe genug von all dem Druck und den Belästigungen, die ich jeden Tag erleiden muss. Jedes Mal, wenn über Ramadan berichtet wird, fängt es wieder an. Wann hört es endlich auf?»