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Wie die Wirtschaft im Innern der Erde begann

Musste das ökonomische Denken der Antike lange auf seine Umsetzung warten, so überholte im mittelalterlichen Bergbau Praxis Theorie im Eiltempo – die Wirtschaft war geboren.
Publiziert: 27.08.2023 um 12:31 Uhr
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Aktualisiert: 27.08.2023 um 12:38 Uhr
Sohn eines Bergbauunternehmers: Martin Luther erlebte die Geburt der Wirtschaft.
Foto: ullstein bild via Getty Images
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

Seit wann gibt es die Wirtschaft? Witzbolde mögen nun anmerken, es gebe sie, seit ein Wirt in einer Beiz ein Bier auf den Tisch stellte. Im Kleinen mag das sogar stimmen, aber wir sprechen hier von der länderumfassenden Wirtschaft, von der Ökonomie, die für die Güterherstellung zuständig ist – im Zusammenspiel mit der Politik, die die Rechtsgrundlage liefert, und der Kultur, die den Sinn stiftet. Wie manche Grundlage in unserem Leben, die wir für ewig gegeben halten, musste sich auch die Wirtschaft entwickeln.

«Seit der Antike war es ein Merkmal des ökonomischen Denkens, dass es seinen Gegenstand sowohl als Personen- wie auch Sachgesamtheit, als einen Verbund von Menschen und Material, von Familien und Gebäuden, Ländereien und Instrumenten reflektiert», schreibt der deutsche Philosoph Andreas Friedolin Lingg in seinem kürzlichen erschienenen Buch. Doch der wissenschaftliche Mitarbeiter im Bereich Wirtschaft und Gesellschaft der Universität Witte/Herdecke (D) weist nach, dass es vom Denken bis zur «Entdeckung der Wirtschaft» noch einige Zeit verging.

Fast ein Jahrtausend lang habe man die Herrschaft und ihre Familien säuberlich von der Sphäre der körperlichen Bedürfnisse und materiellen Niederungen separiert. «In ihnen und durch sie sollte ersichtlich Gott, der Glaube, die Vernunft walten», schreibt Lingg. Ihrem Stand gemäss seien Wort und Geist gewesen, die Jagd, die Kriegsführung, die Heiratspolitik – die Bestellung der Wirtschaft hingegen hätten idealerweise eifrige und loyale Diener und Gefolgsleute im Hintergrund erledigt.

Das änderte sich in Deutschland mit dem mittelalterlichen Bergbau, dem Betrieb von Silberminen in Sachsen und im Erzgebirge. In dessen Gefolge kam es zu einem «doppelten Tabubruch», so Lingg: zum einen zu einer territorialen Ausweitung über die Grenzen von Hof und Anwesen des Fürsten hinaus; zum andern zur Aufhebung der Distanz zwischen Obrigkeit und niederem Reich. Der Betrieb der Bergwerke entwickelte sich zu einer neuen Einkommensquelle der Fürsten.

«Wo einstmals kaum besiedelte wilde Wälder die Szenerie bestimmten, haben wir es nun, wenige Jahrzehnte nach dem ersten Silberfund, mit einer prosperierenden Gewerbelandschaft zu tun», schreibt Lingg. Martin Luther (1483–1546) – Sohn eines Bergbauunternehmers – sei selber «stark vom Montanboom seiner mitteldeutschen Heimatregion geprägt» gewesen. Lingg: «Die Antwort auf die Krise des grossen Hauses von Reich und Christenheit ist hier in gewisser Weise eine Welt der vielen Haushalte.»

Es entstand eine neue Welt, eine Vermehrung der Welt: neue Berufe, neue Werkzeuge, neue Maschinen, neue Ämter, neue Organisationsformen. «Gerade in Zeiten hoher montanwirtschaftlicher Dynamik, im Erzgebirge vor allem um 1500, konnte man schnell den Eindruck gewinnen, dass die Frontlinie der Praxis dem Denken weit vorauslief und dabei ständig unverstandene und unbenannte Phänomene generierte», schreibt Lingg. Die totale Umkehr zur eingangs beschriebenen Zeit der Antike.

zVg
Andreas Friedolin Lingg

«Die Entdeckung der Wirtschaft – der mittelalterliche Bergbau und die Vermehrung der Welt», Konstanz University Press

zVg

«Die Entdeckung der Wirtschaft – der mittelalterliche Bergbau und die Vermehrung der Welt», Konstanz University Press

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