Morgen Montag ist Morgestraich – dann marschieren kostümierte und beleuchtete Baslerinnen und Basler zu Trommeln und Pfeifen durch die dunkle Altstadt; und abends machen sich Schnitzelbänggler im Stil der Hofnarren über Obrigkeiten lustig. Seit 1835. Der geistige Vater der Fasnacht liegt im Münster begraben: Erasmus von Rotterdam (ca. 1466–1536). Jedes Mal, wenn ich in Basel bin, besuche ich das Grabmal bei der vordersten Säule im Nordseitenschiff. Hier ruht er, der Verfasser vom «Lob der Torheit» (1511).
«Frau Torheit tritt auf», schreibt die niederländische Historikerin Sandra Langereis (56) in ihrer unlängst auf Deutsch veröffentlichten Erasmus-Biografie. «Sie erscheint vor grossem Publikum. Und sie sieht, dass ihr Publikum sofort alle Sorgen vergisst.» Die Stirnen glätten sich, auf den Gesichtern erscheint ein Lächeln. «Trunken vor Glück ist ihr Publikum. Alle applaudieren, als sie auftritt.» So umschreibt Langereis den Beginn vom bekanntesten Werk des niederländischen Humanisten.
Dabei war Erasmus nicht immer zum Lachen zumute: Zwischen 1466 und 1469 kommt er als unehelicher Sohn eines vermögenden Kopisten und dessen Haushälterin im niederländischen Rotterdam zur Welt und wird auf den Namen Herasmus getauft. Bereits im Teenageralter sterben ihm die Eltern weg, er bekommt einen Vormund, erhält Unterricht von Klerikern und landet gegen seinen Willen in einem Kloster. Langereis weiss, «dass er nach fünf, sechs Jahren in die Welt hinauszog und nie wieder in seine Zelle zurückkehrte».
Über Paris (Theologiestudium an der Sorbonne), Turin (Promotion) und Cambridge (Griechisch-Dozent) kommt Erasmus 1514 nach Basel. Die Stadt ist berühmt für den Buchdruck, Johannes Froben (1460–1527) der bekannteste Verleger. 1515 veröffentlicht er das «Lob der Torheit» in einer hohen Auflage, das Buch findet reissenden Absatz. Langereis schreibt über Erasmus: «Mit der Basler Ausgabe hatte er Freund und Feind gleichermassen vom literarischen und damit spielerischen Charakter von Frau Torheit überzeugen wollen.»
Neben Buchfreunden hat Erasmus unterschiedliche Feinde. «Für zwei Parteien bin ich ein Ketzer», schreibt er während seiner ersten Monate in Basel in einem Brief: für die Lutheraner, weil er Vertrauen in den freien Willen des Menschen setzte, und für die Antilutheraner, weil er Christus einen Menschen sein lassen wollte. Der Freigeist Erasmus war Humanist durch und durch. Und weil sich Basel am 9. Februar 1529 von der unmenschlichen Seite zeigt, zieht er ins nahe Freiburg im Breisgau.
«Keine Stadt in Europa hatte je etwas Vergleichbares erlebt», schreibt Langereis. «Zweihundert Männer zogen von Kirche zu Kirche und demolierten überall das gesamte Inventar.» Die Reformation nach Luther (1483–1546) hat Basel voll im Griff. Erst 1535 kehrt Erasmus zurück an den Rhein und stirbt dort ein Jahr später. Und obwohl er vom katholischen Glauben nicht abrückt, setzt man ihn unter grosser Anteilnahme der Basler Bevölkerung im mittlerweile protestantischen Münster bei.
«Erasmus – Biografie eines Freigeists», Propyläen.
«Erasmus – Biografie eines Freigeists», Propyläen.