Zoodirektor Severin Dressen
Dosierter Stress für mehr Tierwohl

Stress und Scheitern sind nicht nur für Menschen wichtig, sondern auch für Tiere im Zoo. Im neuen Lebensraum Panthera am Zürichberg wird Stress durch ein Rotationssystem und eine Hightech-Seilbahn simuliert, um das Wohlbefinden der Grosskatzen zu fördern.
Publiziert: 03.11.2024 um 19:07 Uhr
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Aktualisiert: 04.11.2024 um 18:38 Uhr
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Die Seilbahnstützen der neuen Anlage sind acht Meter hoch und werden per Kran transportiert.
Foto: Zoo Zürich

Auf einen Blick

  • Stress und Scheitern sind wichtige Aspekte im neuen Lebensraum Panthera
  • Rotationssystem und Hightech-Seilbahn simulieren Stress und Jagdversuche
  • Seilbahn-Stützen sind acht Meter hoch und wurden per Helikopter installiert
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Severin DressenDirektor des Zoo Zürich

Für unsere Vorfahren war Stress ein wichtiger Überlebensmechanismus: Lauert hinter dem nächsten Busch ein Säbelzahntiger? Finde ich bis heute Abend genügend Essen? Überlebe ich den Angriff des verfeindeten Stamms? Gleichzeitig löste die Stresssituation, die erfolgreiche Mammutjagd oder die gewonnene Stammesfehde auch Glücksmomente bis hin zur Euphorie aus.

Auch heutzutage machen Stressmomente unser Leben in unserer oftmals sehr behüteten westlichen Welt erst lebenswert. Zum Glück geht es bei uns meist nicht mehr um das pure Überleben. Aber auch scheinbar profane Dinge wie das erste Date, die wichtige Prüfung oder der finale Wettkampf lösen Stress aus – gefolgt vom Frust im Moment des Scheiterns oder der Euphorie beim Erfolg. Stress und Scheitern sind auch wichtige Aspekte in unserem neuen Lebensraum Panthera, der im nächsten Frühling eröffnet wird. Natürlich nicht chronischer Stress, der ist für Tiere, genauso wie für uns Menschen, schädlich. Aber punktueller Stress reichert den Alltag der Tiere an.

Denn im Zoo müssen sie sich nicht gegen Rivalen verteidigen, keine Krankheiten, Parasiten, Hungerphasen oder Umweltkatastrophen überleben – viele Stressfaktoren fehlen. Daher werden wir Stress simulieren. Dafür dient zum einen das zukünftige Rotationssystem. Alle Grosskatzen ziehen immer wieder in neue Bereiche in Panthera um, wo es anders aussieht und es vor allem nach dem Vormieter riecht.

So kommt der Asiatische Löwe plötzlich in einen Bereich, der jüngst von unseren Sibirischen Tigern bewohnt wurde, wo alles nach ihnen riecht, wo die Kratzspuren an den Bäumen auf die gestreiften Verwandten hinweisen. Das ist Stress. So müssen die Löwen erst einmal die Anlage auf versteckte Tiger kontrollieren und alles neu markieren. Erst dann können sie sich entspannen.

Neben der Rotation und dem damit verursachten Stress ist auch das Scheitern ein wichtiges Element. Insbesondere bei der Jagd, wo Grosskatzen in der Natur neun von zehn Mal scheitern. Dies ist nicht nur für das mentale, sondern auch das körperliche Wohlbefinden wichtig. Werden die Katzen nicht zur Jagd gezwungen, besteht die Gefahr, dass sie sich zu wenig bewegen – mit allen körperlichen Folgen, wie Schreibtischtäter wie ich aus eigener Erfahrung wissen. Daher wird in diesen Tagen eine wahre Hightech-Seilbahn installiert. Gute acht Meter hoch sind die Stützen, die in den letzten Tagen dafür gesetzt wurden.

Das Besondere ist, dass die Stützen der Seilbahn ausserhalb der Anlage stehen, dass also das vermeintliche Beutetier die Anlage durchquert. Ist die Katze nicht schnell genug, verlässt es die Anlage wieder, und der Jagdversuch scheitert.

Damit wir allen drei Katzenarten – Asiatischer Löwe, Tiger und Schneeleopard – optimale Herausforderungen bieten, können die Tierpflegerinnen und -pfleger die Geschwindigkeit per Joystick und auch die Höhe des Futtertiers kontrollieren. Etwas höher und schneller für die sprunggewaltigen Schneeleoparden, etwas weniger hoch und schnell für die vergleichsweise plumpen Löwen. In den kommenden Wochen beginnt die Eingewöhnungszeit der Katzen – mal schauen, was sie von unseren Ideen zum Thema Stress und Scheitern halten.

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