«Die russische Invasion in der Ukraine beginnt.» Diese Nachricht einer britischen Zeitung auf meinem Smartphone war das erste, was ich am Donnerstagmorgen gesehen habe. Noch während der grössten Gesundheitskrise in 100 Jahren hat die vielleicht grösste Sicherheitskrise auf unserem Kontinent seit dem Ende des Kalten Krieges begonnen.
Krieg in Europa. Unvorstellbar. Etwas, das meine Generation höchstens aus dem Geschichtsunterricht oder aus Erzählungen von Grossvater und Grossmutter kennt.
Die einzige gute Nachricht der letzten 48 Stunden war die Reaktion der freien Welt. Selten hat die westliche Gemeinschaft so geschlossen gehandelt wie in dieser Woche. Sanktionspakete, über die in Brüssel normalerweise Wochen gefeilscht werden, sind innert Stunden verabschiedet worden. Und Amerika ist mit Joe Biden wieder zu einem Partner geworden, auf den Europa in Sicherheitsfragen bedingungslos zählen kann.
Eingefrorene Konten – nur nicht in der Schweiz
Nur die neutrale, aber von westlichen Werten geprägte Schweiz steht im Abseits. Unsere Landesregierung gibt in diesen Tagen ein beschämendes Bild ab. Statt klare Haltung zu zeigen, versteckt sich Bundespräsident Ignazio Cassis an einer Pressekonferenz am Donnerstag hinter Bürokratendeutsch.
Quintessenz des Kauderwelsch: Die Schweiz schliesst sich den Sanktionen gegen Russland nicht an. Ein Entscheid mit Signalwirkung und erheblichen Folgen für den Schweizer Finanzplatz.
Die Schweiz ist heute ein Paradies für Oligarchen aus Russland. Fast jeder dritte Dollar, den russische Bürger und Firmen ins Ausland bringen, gelangt in unser Land. Der Entscheid des Bundesrats erlaubt es nun Putins Freunden mit Konten in der Schweiz, deren Gelder in der EU oder Amerika eingefroren sind, über ihre Millionen weiterhin frei zu verfügen.
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Verdient Finanzplatz an Invasion mit?
Die Reaktionen aus dem Ausland folgten auf dem Fuss. Über Deutschland, Grossbritannien bis nach Amerika wurde der Schweizer Finanzplatz scharf kritisiert. Es war der zweite Imageschaden innert Tagen, nachdem am Sonntagabend Geschäftstätigkeiten der Credit Suisse mit Kriminellen durch ein Recherche-Konsortium enthüllt worden sind. Nobelpreisträger Joseph Stiglitz sagte in der «Süddeutschen Zeitung»: «Die Schweiz soll sich schämen!»
Stiglitz hätte seine Aussage bereits wenige Tage später wiederholen können. Die Schweiz hat schon an der Krim-Annexion mitverdient, weil sie sich den westlichen Sanktionen nicht angeschlossen hatte. Nun könnte der Finanzplatz finanziell auch noch an der völkerrechtswidrigen russischen Invasion abkassieren.
Das wäre nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch höchst unklug. Zu gewinnen gibt es nämlich wenig. Die russischen Gelder sind in absoluten Zahlen gesehen für den Finanzplatz nicht relevant. Zu verlieren aber gibt es viel: Die Gunst der Europäer, mit denen man zeitnah über die bilateralen Abkommen verhandeln muss. Oder die der Amerikaner – dem 2021 wichtigsten Handelspartner der Schweiz.
Wirtschafts-Briefing
Privatbanken profitieren von Schweizer Sonderweg
Die Verantwortung für diesen Imageschaden tragen für einmal nicht die grossen Banken wie die Credit Suisse oder die UBS. Sie setzen als global tätige Bank die US- und EU-Sanktionen gegen Russland seit Jahren konsequent um. Die Gelder der Oligarchen gelten bei ihnen als eingefroren.
Anders die kleinen, unscheinbaren Schweizer Privatbanken. Sie sind die Profiteure des vom Bundesrat beschlossenen Sonderwegs – und bringen den gesamten Finanzplatz in Verruf. Sie mauscheln im Hinterzimmer, führen mit reichen Russen über komplizierte Offshore-Geschäfte ihre Kundenbeziehungen weiter. Ein Geheimnis, das am Zürcher Paradeplatz jedes Kind kennt. Aber auch ein Geheimnis, um das sich der Bundesrat nicht schert.
Er begründet seine mutlose Sanktionspolitik mit der Schweizer Neutralität. Das wirft die Frage auf: Was muss noch geschehen, bis die Schweizer Politik zusammen mit dem Schweizer Finanzplatz Farbe bekennt?
Wladimir Putin ist seit dieser Woche ein Kriegsverbrecher. Die Schweiz müsste die Gelder von Putins Schergen unverzüglich einfrieren.