Sie fragen, EPFL-Chef Martin Vetterli antwortet
Wie überlebt das Virus?

Joël Mesot, Martin Vetterli und Michael Hengartner sind so etwas wie die obersten Wissenschaftler der Schweiz. In ihrer Rubrik stellen sie sich den Fragen der Leserinnen und Leser rund um die Wissenschaft.
Publiziert: 01.06.2022 um 09:43 Uhr
Viren wie Sars-CoV-2 sind minimal aufgebaute «Wesen». Sie bestehen bloss aus den wichtigsten Elementen des Lebens: einer DNA oder RNA.
Foto: Getty Images/Science Photo Library RF
Martin Vetterli

Das Coronavirus kann in einem Aerosol längere Zeit in der Luft oder auf einer Oberfläche überleben. Was ist der Grundstoff, den der Virus zum Überleben braucht?

Martin Vetterli: Das ist eine wunderbare Frage, denn sie berührt einen der wichtigsten Aspekte des Lebens. Was bedeutet es, lebendig zu sein? Und ist ein Virus wirklich ein «Lebewesen»? Oder bloss ein Stück leblose Materie?

Streng genommen ist es eher das Zweite, denn das biologische Leben definiert sich unter anderem durch die Fähigkeit, sich als Art alleine fortzupflanzen zu können. Viren können das nicht. Sie müssen in andere Körper eindringen, so wie unsere, wo sie dann Teile unserer Zellen kapern, um sich vermehren zu können. Sie sind also abhängig von Wirten, um sich fortpflanzen zu können, und haben so gesehen keine eigene Reproduktionsfähigkeit.

Viren sind minimal aufgebaute «Wesen» und bestehen bloss aus den wichtigsten Elementen des Lebens. Einfach gesagt, sind sie nichts anderes eine DNA (oder RNA), welche von einer oder mehreren schützenden Hüllen umgeben ist. Man kann sich Viren als Metapher ein bisschen wie klitzekleine Briefe vorstellen. Sie tragen Information in Form von Text in sich (eben die DNA oder RNA) und sind von einem Couvert umgeben (der Hülle).

Im Inneren des Wirts werden diese kleinen Briefe geöffnet und die darin enthaltenen Informationen durch eine fremde Hand und einen fremden Stift auf neues Papier kopiert. Einmal vermehrt, werden die neuen Viren wieder rausgespuckt — wortwörtlich.

Ausserhalb des Körpers sind sie also einfach Materie, aber eben infektiöse Materie. Das aber nur, solange sie intakt sind. Denn mit der Zeit zersetzen sich Viren und können sich dann zum Beispiel nicht mehr an unsere Zellen heften. Sie werden also harmlos. Auch hier funktioniert die Analogie zu den Briefen gut, denn auch diese vergilben und verbleichen mit der Zeit ebenfalls und sind am Ende unlesbar.

Wie lange bleibt ein Virus also ausserhalb des Körpers intakt und somit infektiös? Das hängt stark davon ab, wie das jeweilige Virus aufgebaut ist. Bestimmte Viren, wie das HIV-Virus, bleiben ausserhalb des Körpers nur wenige Stunden intakt, andere hingegen, wie das tödliche Pockenvirus, längere Zeit. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass alle Viren mit der Zeit kaputtgehen. Dies geschieht vor allem durch Trockenheit, ultraviolettes Licht, Hitze oder Sauerstoff, um nur einige der externen Faktoren zu nennen.

Bei Coronaviren und vielen anderen Viren erlaubt das Wasser unserer Atemtropfen in den Aerosolen, dass Viren sich darin nun länger vor Hitze, Sauerstoff und ultraviolettem Licht schützen können – und somit länger ohne Schaden ausbleiben. Je schneller das Aerosol austrocknet, desto schneller gehen die Viren kaputt und verlieren an Infektionskraft.

Übrigens, Viren gehen nicht nur alleine langsam kaputt. Sie können auch aktiv mit Desinfektionsmitteln wie Seife oder Alkohol aufgebrochen werden. Genau deshalb ist gutes Händewaschen so wirksam gegen Infektionen. Aber eben, es tötet sie nicht, denn streng genommen, waren sie ja gar nie lebendig. So wenig wie auch ein Brief oder ein Stift sterben kann.

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