Sich einer fremden Kultur bedienen – Thomas Meyer rät
Respektlose Klischees

Mir geht das Geschwätz über «kulturelle Aneignung» auf den Wecker. Was ist schlimm daran, wenn mein Sohn sich als Indianer verkleidet?
Publiziert: 04.12.2022 um 19:36 Uhr
Die Bezeichnung «Zigeunerschnitzel» ist auch eine Art, sich einer fremden Kultur zu bedienen.
Foto: Blick
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Thomas MeyerSchriftsteller und Kolumnist

Dieses «Geschwätz» geht vor allem Leuten auf den Wecker, deren Selbstverständnis darin besteht, sich über alles hinwegzusetzen. Auf andere und deren Gefühle Rücksicht zu nehmen, fällt ihnen prinzipiell schwer – sie sehen es schlicht nicht ein. Besonders schlecht gelingt es ihnen aber, wenn sie die Betroffenen nicht persönlich kennen und selten zu Gesicht bekommen, wie beispielsweise schwarze Menschen. Denen zuliebe soll man nicht mehr «Mohrenkopf» sagen? Oder die Indigenen – was stört es die, wenn man sie weiterhin «Indianer» nennt und sich verkleidet und schminkt, dass man aussieht wie sie?

Zugegeben: Die amerikanischen Ureinwohnerinnen und Ureinwohner merken nichts davon, wenn Ihr Sohn sich als «Indianer» verkleidet. Sie hätten wohl kaum Freude daran, aber darum geht es gar nicht. Sondern um Sie. Es geht darum, dass Sie sich ein Recht herausnehmen, das Ihnen niemand zugestanden hat. Und dass Sie dies im erweiterten Kontext eines Genozids tun, was auch für den «Mohrenkopf» und das
«Zigeunerschnitzel» gilt. Es geht darum, dass Sie sich als weisser Mann ungefragt bei einer fremden Kultur bedienen, der aus der genau gleichen anmassenden Haltung heraus unfassbares Leid angetan wurde.

Das ist «schlimm daran», wenn Sie zulassen, dass Ihr Sohn sich wie ein amerikanischer Ureinwohner verkleidet: Sie führen damit eine Tradition fort, die Menschen in zwei Klassen einteilt: wertvolle und wertlose. Das können Sie nun als streng empfinden und als «Cancel Culture» verspotten, aber es gibt nun einmal eine ganze Reihe von Witzen, Klischees und Verhaltensweisen, die respektlos
sind, es schon immer waren und endlich abgelegt werden müssen. In Ihrem Herzen wissen Sie das auch – das Problem besteht nur darin, dass Sie sich von niemandem etwas sagen lassen wollen.

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