Professor Hengartner erklärt
Von hier kommen die Mandarinen

Michael Hengartner ist Präsident des ETH-Rats – und damit so etwas wie der Chef-Forscher der Schweiz. In seiner Kolumne erklärt er Wissenswertes aus der Wissenschaft.
Publiziert: 09.12.2020 um 12:08 Uhr
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Aktualisiert: 18.12.2020 um 14:49 Uhr
Prof. Hengartner ist Präsident des ETH-Rates.
Foto: Nathalie Taiana
Michael Hengartner

Ich habe grossen Respekt vor dem Personal in Migros, Coop und in den vielen anderen Lebensmittelläden. Nicht nur wegen Corona, nicht nur wegen des Weihnachtsstresses. Sie schaffen es nämlich auch, die verschiedenen Zitrusfrüchte auseinanderzuhalten. Was es da alles gibt! Zitronen, Mandarinen, Clementinen, Blond-, Blut- und Bitterorangen, Apfelsinen, Pampelmusen, Tangerinen, Limetten, Pomelos, Grapefruits, Bergamotten, Kumquats, Satsumas und, und, und.

Das war nicht immer so: Die heutigen Varianten gehen alle auf eine einzige Art zurück, aus der sich vor etwa sieben Millionen Jahren drei Sorten entwickelten: Pampelmusen (die Grossen), Zitronatzitronen (die schrumpeligen Gelben) und Mandarinen. Aus diesen drei Früchten entstand durch Kreuzungen unsere heutige Sortenvielfalt. Manchmal geschah das auf natürlichem Weg (Bienen bestäubten Fruchtknoten der einen Sorte mit Pollen einer anderen) und manchmal durch menschliche Zucht. Zitrusfrüchte lassen sich nämlich ziemlich leicht kreuzen.

Die ersten Zitrusfrüchte wuchsen in Südostasien, was man aus ihren Namen auch heraushören kann: Die Mandarine ist nach den gleichnamigen chinesischen Würdenträgern benannt, die Apfelsine (Norddeutsch für Orange) heisst eigentlich «China-Apfel» («Sina» ist das lateinische Wort für China). Über die Seidenstrasse gelangten die Früchte nach Europa, und hier waren sie heiss begehrt. Im 18. Jahrhundert legten Fürsten und Könige sogar spezielle Gärten für sie an, sogenannte «Orangerien», von denen einige heute noch als schöne Parks erhalten geblieben sind (etwa die Orangerie Elfenau in Bern).

Wenn der Nikolaus heute Mandarinen bringt, handelt es sich dabei aber genau genommen oft um Clementinen. Mandarinen haben recht viele Kerne, Clementinen hingegen wenig bis keine. Ausserdem haben sie eine dickere Schale. Dass der Nikolaus sie im Dezember bringt, liegt daran, dass sie in Südeuropa ab November reif werden. Sie haben jetzt Saison.

Ihre typische orange Farbe erhalten Mandarinen interessanterweise nicht von der Sonne, sondern durch die ersten kalten Nächte. Haben sie blasse Stellen, sind sie deshalb nicht weniger süss – sie hatten einfach weniger kalt. Unabhängig von der Farbe sollte man Mandarinen und andere Zitrusfrüchte vor dem Verzehr eigentlich abspülen, weil ihre Schale oft mit Konservierungsstoffen behandelt wird, die dann über die Finger in den Mund gelangen. Ganz natürlich haltbar sind hingegen die anderen Mitbringsel des Nikolaus: Baumnüsse, Erdnüsse oder Schokolade lassen sich zumindest theoretisch lange lagern. Ganz praktisch hat aber vor allem die Schokolade die Tendenz, auf unerklärliche Weise zu verschwinden.

Egal ob Mandarinen, Clementinen oder andere Zitrusfrüchte: Sie alle beinhalten viel Vitamin C, und dieses stärkt unsere Abwehrkräfte. Das können wir im Winter besonders gut gebrauchen. Noch mehr Vitamin C wäre eigentlich in Kohl oder Sauerkraut enthalten – aber damit würde sich der Nikolaus wohl sogar bei den bravsten Kindern keine Freunde machen!

Ich wünsche Ihnen gute Gesundheit und einen schönen Nikolaustag.

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