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Michael Hengartner erklärt den Event Cybathlon
Die Herausforderungen des Alltags

Michael Hengartner ist Präsident des ETH-Rats – und damit so etwas wie der Chef-Forscher der Schweiz. In seiner Kolumne erklärt er Wissenswertes aus der Wissenschaft.
Publiziert: 09.11.2020 um 11:40 Uhr
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Aktualisiert: 18.12.2020 um 14:49 Uhr
Michael Hengartner (53) ist Präsident des ETH-Rats und Kolumnist im SonntagsBlick Magazin. Zuvor war der Biochemiker Rektor der Universität Zürich.
Foto: Nathalie Taiana
Michael Hengartner

Haben Sie schon einmal tosenden Applaus fürs Wäscheaufhängen gekriegt? Oder fürs Treppensteigen? Oder das Wechseln einer Glühbirne? Ich auch nicht. Aber für Sie und mich ist das ja auch keine grosse Sache. Anders sieht es für Menschen aus, die im Rollstuhl sitzen oder ihre Hände bei einem Unfall verloren haben. Ihnen helfen heute intelligente Prothesen.

Silke Pan ist eine beeindruckende Sportlerin. Sie ist in der Romandie aufgewachsen und war ausgebildete Akrobatin, Sportlerin und Musikerin, bis sie 2007 am Trapez stürzte. Seitdem ist sie querschnittgelähmt. Heute betreibt sie wieder Sport und Akrobatik auf höchstem Niveau. Einfach auf ganz andere Weise. Sie schwimmt durch Seen, fährt Hunderte Kilometer mit dem Handbike und schafft sogar den einarmigen Handstand.

Sport mit technischer Unterstützung

2016 hat Frau Pan am allerersten Cybathlon mitgemacht. An Cybathlons treten Menschen mit körperlichen Behinderungen gegeneinander an und lösen, unterstützt von neuester Technik, alltagsrelevante Aufgaben. Silke Pan war Teil eines Teams der EPFL in Lausanne. Dort haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter der Leitung von Mohamed Bouri für Frau Pan ein sogenanntes «Exoskelett» gebaut – eine Art Anzug aus Stangen, Gelenken, Bändern und Motoren. Diese Konstruktion konnte sich Silke Pan so umschnallen, dass sie ihren Körper stützte, Bewegungen für sie übernahm und so das ermöglichte, was eigentlich nicht mehr ging: das Gehen.

Auch von den anderen Teams erhielt Frau Pan Applaus, als sie demonstrierte, wie sie als Querschnittgelähmte gehen und sogar Treppensteigen konnte. Denn an Cybathlons geht es nicht nur um den Gewinn von Medaillen, sondern vielmehr darum zu zeigen, wie man Menschen mit Behinderungen das Leben künftig etwas leichter machen könnte. Und dafür geben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der ganzen Welt Vollgas.

Wäsche aufhängen mithilfe von Sensoren

Andere Teams konnten beispielsweise Armprothesen zeigen, die sich über Gedanken steuern lassen. Dahinter steckt keine Zauberei, sondern clevere Sensoren. Denn auch wenn die Hand fehlt, sind die Nerven im Arm noch da. Und wenn der Mensch «Faust ballen» denkt, gehen Impulse durch den Arm. Dort können sie Sensoren in den Prothesen wahrnehmen – und dann ballt die Prothese ihre Hand wirklich zur Faust. Selbst so filigrane Bewegungen wie das Aufhängen der Wäsche sind inzwischen möglich!

Am 13./14. November findet der zweite Cybathlon statt – wieder organisiert von der ETH Zürich. Aufgrund der Covid-Beschränkungen in einem angepassten Format: 60 Teams aus aller Welt stellen ihre Infrastruktur für den Wettkampf vor Ort selbst auf und filmen ihre Rennen. Von Zürich aus werden die Wettkämpfe live übertragen. Und auch Frau Pan und ihr Team von der EPFL sind wieder mit dabei. Ich bin gespannt, was sie in den letzten vier Jahren erreicht haben. Schauen Sie rein! Es ist wirklich beeindruckend, was die Teilnehmenden und die Forschung hier zeigen! Und Wäscheaufhängen hat plötzlich eine ganz andere Bedeutung.

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