Milena Moser
In bester Gesellschaft

Vor Wochen habe ich von Carolina erzählt, die unverdrossen glaubt, beim nächsten Mann werde alles anders. Doch viele meiner Freundinnen, und auch meiner Leserinnen, wie die Zuschriften zeigen, sind gar nicht auf der Suche. Sie sind glücklich, und in bester Gesellschaft.
Publiziert: 20.03.2023 um 09:00 Uhr
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Aktualisiert: 20.03.2023 um 16:09 Uhr
Die Schriftstellerin Milena Moser (59) schreibt im SonntagsBlick Magazin über das Leben. Sie ist die Autorin mehrerer Bestseller. Ihr neustes Buch heisst «Mehr als ein Leben».
Foto: Barak Shrama Photography
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Milena MoserSchriftstellerin

Wie Esti. «Ich bin nicht alleinstehend», sagt sie. «Ich bin Teil einer Gemeinschaft. Und ich lebe nicht allein – ich lebe in bester Gesellschaft. Mit mir.» Das Einzige, was sie stört, sind die ständigen Fragen. Warum sie allein lebt. Warum sie keine Kinder hat. Warum sie auf keiner Online-Dating-Plattform aktiv ist. «Das geht schon mein ganzes Leben lang so», seufzt sie. Es begann, als sie bei einem Familienfest gefragt wurde, wie viele Kinder sie später mal haben wolle. Esti ist jünger als ich, aber wie ich in der Schweiz aufgewachsen. Wir haben es noch als normal erlebt, dass nur Jungen nach ihren Berufswünschen gefragt wurden. «Keine», sagte Esther selbstbewusst. «Ich hab keine Zeit, ich will ja Chef werden!»

Diese Antwort löste eine mittlere Familienkrise aus, so dass sie von da an einfachheitshalber behauptete, sie wolle zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen, in dieser Reihenfolge. Das schien die allgemein akzeptierte Standardantwort zu sein. Doch in Wirklichkeit hatte sie ganz andere Pläne. Die behielt sie wohlweislich für sich. Nach dem Lehrabschluss begann sie zu reisen, irgendwann blieb sie in der Bay Area hängen. Sie führte ein vegetarisches Restaurant und später eine Kochschule, heute kocht sie mit Schulkindern und für Obdachlose. Und da man eine Köchin in Amerika «Chef» nennt, hat sie auch dieses Lebensziel erreicht.

Sie hatte mehrere grosse Lieben, Männer und Frauen, aber geheiratet hat sie nie. Das Nicht-Verheiratet-Sein war für sie das grössere Problem als das Geschlecht. «Auch wenn du zwanzig Jahre lang mit jemandem zusammenlebst, gilt es irgendwie nicht, wenn du nicht verheiratet bist.» Und führt zu Fragen. Auch von Fremden. Sie sind etwas anders formuliert als in ihrer Kindheit, aber sie entstammen demselben Fehlschluss: dass es nur eine Art gibt, glücklich zu sein. Dass es nur eine Art von Liebe gibt, die romantische, und nur eine Gemeinschaft, die biologische Familie.

Esti ist eine kämpferische Natur, sie fragt dann oft zurück: «Warum wolltest du unbedingt Kinder haben? Woher wusstest du, dass du eine gute Mutter sein würdest? Warum schimpfst du ständig über deinen Mann, liebst du ihn denn gar nicht? Warum bist du verheiratet, wegen der Steuerersparnisse?» Sie weiss sich zu wehren – aber warum muss sie sich wehren? Warum muss sie ihr Leben, das sie in vollen Zügen geniesst, ständig rechtfertigen?

Als ich sie vor acht Jahren kennenlernte, war sie noch in Trauer. Ihre Partnerin war lange krank gewesen und etwa sechs Monate zuvor gestorben. Ich erinnere mich, wie intensiv sie mich damals nach meiner Beziehung zu Victor ausfragte. Es fühlte sich fast wie ein Verhör an. Aber ich spürte, dass es nicht um mich ging, dass sie etwas für sich selbst herausfinden musste.

«Damals war ich sicher, dass ich mich wieder verlieben würde. Ich glaube, ich wollte wissen, ob das möglich ist, und wie lang das dauert.» Denn Victor hatte sechs Jahre, bevor wir uns ineinander verliebten, ebenfalls seine langjährige Partnerin verloren. «Aber als ich den Kopf wieder halbwegs über Wasser hatte, merkte ich, dass mir gar nichts fehlt. Ich sah, wie schön mein Leben ist. Wie voll. Wie erfüllt.» Sollte die romantische Liebe doch noch einmal an ihre Tür klopfen, würde sie sagen: «Willkommen!» Aber darüber denkt sie kaum je nach. Sie vermisst nichts.
«Ausser eben das: dass ich mein Leben so leben kann, wie es mir entspricht.»

Esti, ich höre dich.

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