Lukas Bärfuss zur Schweizer Sanktionspolitik gegen russische Oligarchen
Ein FAQ zur Schweizer Sanktionspolitik gegen russische Oligarchen

Lukas Bärfuss beantwortet häufig gestellte Fragen zur Umsetzung der Verordnung des Bundesrats vom 4. März 2022 sowie ihren Konsequenzen.
Publiziert: 10.04.2022 um 11:49 Uhr
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Aktualisiert: 10.04.2022 um 12:08 Uhr
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Die Grosse Kammer gedenkt während einer Schweigeminute an der Frühlingssession 2022 den Opfern im Ukraine-Krieg.
Foto: Keystone
Lukas Bärfuss

Was regelt die Verordnung des Bundesrats vom 4. März 2022?
Sie übernimmt die Sanktionen der Europäischen Union gegen Russland und will damit deren Wirkung verstärken.

Wie hoch sind die russischen Vermögenswerte, die unter diese Sanktionen fallen?
Darüber lässt sich nur spekulieren.

Warum lässt sich darüber nur spekulieren?
«Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer vorsätzlich ein Geheimnis offenbart, das ihm in seiner Eigenschaft als Organ, Angestellter, Beauftragter oder Liquidator einer Bank oder einer Person anvertraut worden ist.»

Wer sagt das?
Artikel 47 des Bundesgesetzes über die Banken und Sparkassen vom 8. November 1934.

Das berühmte Bankgeheimnis verhindert die Durchsetzung?
Im Verbund mit dem Steuergeheimnis, ja.

Wie soll die Verordnung durchgesetzt werden, wenn diese Zahlen nicht bekannt sind?
Die Kantone haben eine Meldepflicht.

In welchem Ausmass kommen die Kantone dieser Meldepflicht nach?
Darüber lässt sich nur spekulieren.

Wer ist für die Durchsetzung dieser Verordnung verantwortlich?
«Die Bundesversammlung übt die Oberaufsicht aus über den Bundesrat und die Bundesverwaltung, die eidgenössischen Gerichte und die anderen Träger von Aufgaben des Bundes.»
«Die Bundesverfassung sorgt dafür, dass die Massnahmen des Bundes auf ihre Wirksamkeit überprüft werden.» (Artikel 169 BV)

Hat die Bundesversammlung bezüglich der Verordnung vom 4. März 2002 diese Massnahmen ergriffen?
Bis heute nicht.

Warum nicht?
Darüber lässt sich nur spekulieren.

Ist sie überhaupt zuständig?
«Die Bundesversammlung übt unter Vorbehalt der Rechte von Volk und Ständen die oberste Gewalt im Bund aus.» (Artikel 148 BV)

Auch wenn es um Aussenpolitik geht?
«Die Bundesversammlung trifft Massnahmen zur Wahrung der äusseren Sicherheit, der Unabhängigkeit und der Neutralität der Schweiz.» (Artikel 173 BV)

Wann tagt die Bundesversammlung das nächste Mal?
In sieben Wochen zur ordentlichen Sommersession.

Wie lange dauert der Krieg in der Ukraine schon?
Ebenfalls sieben Wochen.

Wie viele Menschen sind bis heute diesem Krieg zum Opfer gefallen?
Laut dem Uno-Hochkommissariat für Menschenrechte hat der Krieg bisher 3776 Opfer in der ukrainischen Zivilbevölkerung gefordert. Darunter befinden sich 130 getötete und 188 verletzte Kinder. Das sind die bestätigten zivilen Opfer. Die tatsächliche Zahl liegt viel höher.

Wie viel Menschen sind auf der Flucht?
Pro Tag liegt die Zahl bei über 200'000.

Insgesamt?
4,2 Millionen Menschen.

Warum wurde keine ausserordentliche Session beantragt?
Darüber lässt sich nur spekulieren.

Aber kommt der Nationalrat nicht bald zusammen?
In vier Wochen, ja, zu einer Sondersession.

Was ist das, eine Sondersession?
Sondersessionen werden einberufen, wenn die ordentlichen Sessionen zum Abbau der Geschäftslast nicht ausreichen.

Wie lange dauert die Sondersession?
Drei Tage, von Montag bis Mittwoch.

Ist im Nationalrat die Durchsetzung der Verordnung vom 4. März 2022 traktandiert?
Nein, das ist sie nicht.

Warum nicht?
Darüber lässt sich nur spekulieren.

Waren die Fristen seit der Invasion zu kurz?
Das waren sie nicht. Die Motion, die eine Erhöhung der Militärausgaben verlangt und in der Sondersession beraten wird, wurde von der Sicherheitspolitischen Kommission am 15. März 2022 eingereicht, also zwei Wochen nach der Verordnung, vier Wochen nach der Invasion.

Welche Anträge werden in der Sondersession behandelt?
Einige.

Konkret?
Eine Motion findet es stossend, dass gewisse Flüchtlinge dabei ertappt werden, Ferien in ihrem Heimatland zu verbringen. Wegwerfgeschirr in der Take-away-Gastronomie soll verboten werden. Ausländischen Investoren soll es ermöglicht werden, Hotels und Ferienwohnungen zu bauen. Und schliesslich verlangt ein Nationalrat, dass bei stationären Patienten in Spitälern die Nationalität erhoben werden soll. In der Nordwestschweiz sei es nämlich zu einer auffälligen Häufung von Covid-19-Patienten ausländischer Herkunft gekommen.

Das alles soll dringlicher sein als die Durchsetzung der Verordnung vom 4. März 2022?
Dringlich ist eine Ermessensfrage.

Wie wahrscheinlich ist es, dass mit jedem Tag, der vergeht, Gelder aus der Schweiz abgezogen werden?
Das ist sehr wahrscheinlich.

Und wie wahrscheinlich ist es, dass der Kreml mit diesen Geldern Waffen für den Krieg in der Ukraine kauft?
Auch das ist sehr wahrscheinlich.

Und damit bedroht der Krieg in der Ukraine auch die Sicherheit der Schweiz?
Das folgt daraus, ja.

Wenn die Bundesversammlung hier keine Massnahmen trifft, verstösst sie nicht gegen ihren verfassungsmässigen Auftrag?
Doch, das tut sie.

Was weiss eigentlich die Presse über die russischen Vermögenswerte?
Darüber lässt sich nur spekulieren.

Hat sie ihre diesbezüglichen Informationen nicht veröffentlicht?
Das darf sie nicht.

Warum darf sie es nicht?
«Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer vorsätzlich ein ihm nach Buchstabe a offenbartes Geheimnis weiteren Personen offenbart oder für sich oder einen anderen ausnützt.» Ebenfalls Artikel 47 Bundesgesetz über die Banken und Sparkassen.

Gibt es in der Schweiz also keine Pressefreiheit?
Darüber lässt sich nur spekulieren.

Wenn der Bundesrat seine eigenen Gesetze nicht durchsetzt und wenn das oberste Organ unserer Demokratie, die Bundesversammlung, ihrem verfassungsmässigen Auftrag nicht nachkommt, wer regiert dann eigentlich die Schweiz?
Darüber lässt sie nur spekulieren.

Der internationale Finanzkapitalismus?
Darüber lässt sich nur spekulieren.

Kann man darauf hoffen, dass die Bundesversammlung bei der ordentlichen Session in sieben Wochen eine Geschäftsprüfungskommission oder eine Parlamentarische Untersuchungskommission beschliesst, um die Verordnung vom 4. März durchzusetzen?
Hoffen kann man immer, die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Was stirbt vorher?
Der Rechtsstaat. Die Demokratie. Die Menschen in der Ukraine.

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