Kolumne «Weltanschauung» von Giuseppe Gracia
Krawallmacher und Milchgesichter

Die Corona-Krawalle von Jugendlichen sollte man nicht leichtfertig abtun. Sie deuten auf ein tiefer liegendes Problem: Die Jungen wollen ihr Leben nicht als Duracell-Figuren im Hamsterrad der Globalisierung verbringen. Kann man ihnen das verübeln?
Publiziert: 12.04.2021 um 06:52 Uhr
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Aktualisiert: 09.05.2021 um 16:11 Uhr
Giuseppe Gracia, Schriftsteller.
Foto: Thomas Buchwalder
Giuseppe Gracia

Jugendliche als Krawallmacher: Das ist nichts Neues. Am letzten Corona-Krawall in St. Gallen beteiligten sich rund 1000 Jugendliche. Über der Stadt kreiste ein Polizeihelikopter. Das kommt nicht oft vor. Und im Netz kursieren weitere Gewaltaufrufe.

Im Corona-Jahr 2020 wurden in der Schweiz so viele Jugendliche kriminell wie seit zehn Jahren nicht mehr. Ein Zusammenhang mit der Pandemiepolitik liegt auf der Hand. Dennoch lautet im Nachgang der Corona-Krawalle die Hauptbotschaft von Regierung und Medien: Diese Krawalle haben nichts mit Corona zu tun.

Ein Medium nannte die Krawallmacher «Milchgesichter». Daraus spricht die Arroganz der Spiesser. Und es erklärt nichts.

Seit 13 Monaten gilt für die Jungen praktisch Hausarrest. Keine sozialen Kontakte, keine Reisen, kein Kino, keine Bars, keine Disco, kein Fitnesscenter. Zugleich müssen die Jungen jeden Tag ihre Leistung bringen: in der Schule, an der Uni, im Job. Lernen, arbeiten, schlafen. Das Programm in Corona-Zeiten. Ist es überraschend, wenn sich da viele wie Duracell-Batterien des Systems vorkommen und sich dagegen wehren?

Niemand will eine Duracell-Figur sein

Wer so tut, als nähmen Frust und Krawall wegen ein paar «Milchgesichter» zu, aber auf keinen Fall wegen einer kritikwürdigen Pandemiepolitik, macht es sich zu einfach. Der hat vergessen, wie es ist, jung zu sein. Wie es ist, in der Welt ein Versprechen zu sehen, das erfahren und verwirklicht werden will. Schlimmer: Der versteht grundsätzlich nicht, was die Beschleunigung unserer digitalisierten Zeit für junge Menschen bedeutet. Was es bedeutet, in einer Kultur der laufenden Optimierung zu leben. Schule, Wissenschaft und Forschung als Potenzmittel des Handels. Staat und Politik als Human-Resources-Abteilung. Der Mensch im Hamsterrad der Globalisierung.

Wenn die Jungen in dieser Welt schon mithalten müssen, sollte man sie in den Pausen nicht auch noch 13 Monate lang einsperren. Niemand möchte sein Leben als Duracell-Männchen verbringen, schon gar nicht in jungen Jahren. Darum geht es hier, und dazu finden noch viel zu wenige Debatten statt. Es wird Zeit, dass sich dies ändert.

Giuseppe Gracia (53) ist Schriftsteller und Kommunikationsberater. Sein neuer Roman «Der letzte Feind» ist erschienen im Fontis Verlag, Basel. Er schreibt jeden zweiten Montag im Blick.

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