«Die Arbeitsmoral deiner Generation lässt zu wünschen übrig», warf mir kürzlich ein (älteres) Familienmitglied an den Kopf. Nicken und leise Zustimmung am Esstisch. «Die Jungen machen heutzutage einfach krank, wenn sie keine Lust haben», stimmte eine Grosstante ein. Das habe ihre Zahnärztin erzählt.
Ich stand im Rampenlicht. Normalerweise lasse ich solche Aussagen nicht auf mir sitzen. Normalerweise. An diesem Tag aber war ich verkatert statt vorlaut und einfach übermüdet. Ich fand keine Worte, meine Verteidigung war schwach, ich musste mich gegen die Ü40er am Tisch geschlagen geben.
Doch in diesem Text, liebe Familie, trete ich – ungefragt – eine Widerrede an.
Flache Hierarchien, Mitbestimmung und Goodies
Es kann sein, dass die Generation Z öfter «krankmacht». So wird sie auch von der Marktforschung umschrieben: Das eigene Wohlergehen stellt sie vor den Profit ihres Arbeitgebers. Sie wünscht sich, dass dieser sich um das Wohlergehen seiner Mitarbeiter kümmert. Sie will flache Hierarchien, Mitbestimmung und Goodies. Lieber hat sie Freude an der täglichen Arbeit, als sich zähnebeissend und unglücklich an die Spitze der Karriereleiter zu kämpfen.
Ich muss zugeben, ich bin manchmal selbst irritiert ob der Selbstverständlichkeit junger Menschen, so hohe Ansprüche zu stellen. Ich verstehe eure Frustration – ihr hattet keine Goodies, sondern einen fiesen, grummeligen Chef.
Am Arbeitsplatz verbringt man am meisten Zeit
Nüchtern betrachtet aber ist es doch gut, dass meine Generation den Arbeitsplatz – immerhin der Ort, an dem man die meiste Zeit im Leben verbringt – etwas angenehmer gestalten will. Nennt das verweichlicht. Ich nenne es gesund.
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Selbstverständlich ist dieses Streben nach mehr Leben in der Work-Life-Balance nur möglich, weil viele von uns in der Schweiz einen sehr hohen Lebensstandard geniessen – den wir unter anderem euch zu verdanken haben. Nebenbei: Wie moralisch es zuging, um diesen Lebensstandard zu erreichen, erörtern wir dann beim nächsten Znacht.
Was Arbeit ist, verändert sich
Wir alle müssen uns eingestehen, dass sich der Begriff Arbeit in stetem Wandel befindet. Ihr mögt die Berufsbezeichnung «Influencerin» belächeln. Doch was die Zukunft unter Arbeit versteht, können selbst wir uns nicht annähernd vorstellen.
Klar ist für uns nur eins: Solange wir nicht eine fette Tonne Geld erben, stehen unsere Chancen auf ein Einfamilienhaus sehr schlecht – egal, wie sehr wir uns dafür abrackern. Vielleicht lässt unsere Arbeitsethik auch deshalb zu wünschen übrig.
Noa Dibbasey (21) ist sich bewusst, dass sie diese Kolumne aus einer sehr privilegierten Warte heraus schreibt und es sich längst nicht alle erlauben können, wegen fehlender Goodies einen Job nicht anzunehmen.