Christoph Blocher behauptet, die Schweiz sei seit der Corona-Krise eine Diktatur. Lukas Bärfuss sieht das als Schriftsteller ähnlich. Für ihn ist «die Revolution eine Politik der Vernunft, die von morgen an von Bern ausgehen muss». Der Rechts- und der Linksaussen reichen sich die Hand.
Schweizerische Politik ist ein mühsames Geschäft. Nehmen wir das Beispiel einer Gesetzesrevision. Der Bundesrat beauftragt eine Expertenkommission, sie vorzubereiten. Deren Entwurf geht in die Vernehmlassung. Kantone, Parteien, Verbände nehmen dazu Stellung. Der Bundesrat wertet sie aus und unterbreitet dem Parlament mit seiner «Botschaft» seine Version. Die zuständige Kommission behandelt die Revision zuhanden des Plenums.
Wo war Blocher?
Nach diesem Prozedere ist der zweite Rat dran. Entscheidet er anders, geht das Geschäft zurück an den Erstrat. Besteht nach dreimaligem Hin und Her keine Übereinstimmung, beginnt das Differenzverfahren. Ein Beschluss kommt erst zustande, wenn beide Räte bis aufs Komma das Gleiche beschlossen haben. Die Revision des Obligationenrechts dauerte so 22 Jahre.
Mit einem solchen Szenario wäre die Corona-Krise nicht zu bändigen. Nach der Schweinepest, dem Rinderwahnsinn, der Vogelgrippe verabschiedete 2012 das Parlament das Epidemiengesetz gegen bloss 14 Nein. In solchen Fällen darf der Bundesrat mit Notrecht regieren. Blocher behauptet, er habe damals Nein gestimmt. Gemäss dem Sitzungsprotokoll war er gar nicht anwesend.
Revolution ist nie demokratisch
Nun wollen die ganz Schlauen hintendrein die Corona-Krise vorausgesehen haben. Hätte der Bundesrat sich darauf vorbereitet, wäre Notrecht unnötig gewesen. Sie reden, als ob der Bundesrat als einzige Regierung der Welt überrascht worden wäre.
In Italien, Spanien, Frankreich beklagen sie 75'000 Corona-Tote. New York ist lahmgelegt. China sperrte die Millionenstadt Wuhan wochenlang ab. Der französische Präsident redet vom Krieg gegen das Virus. Merkel operiert gleich wie der Bundesrat. Notrecht ist Gesetz, nicht Willkür.
Unsere Demokratie hält Notrecht vorübergehend aus. So viel Vertrauen dürfen wir haben. Die Revolution von Bärfuss wird nicht stattfinden. In der Geschichte war eine Revolution noch nie demokratisch. Wirksam schon.
Helmut Hubacher (93) war von 1975 bis 1990 Präsident der SP Schweiz. Er schreibt jeden zweiten Mittwoch im BLICK.