Kolumne «Alles wird gut»
Der Richter und sein Opfer

Bundesgerichtspräsident Ulrich Meyer ist dabei ertappt worden, wie er abschätzig über eine Richterkollegin herzog. Darf man ihn wegen seines sexistischen Verhaltens zum «alten weissen Mann» abstempeln?
Publiziert: 14.06.2020 um 23:43 Uhr
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Aktualisiert: 14.02.2021 um 11:45 Uhr
Ursula von Arx, Autorin
Foto: Thomas Buchwalder
Ursula von Arx

Drei Jahre MeToo, ein Jahr Frauenstreik, und immer wieder werden neue alte weisse Männer ins Licht gehoben. Letzte Woche zum Beispiel warf die «Rundschau» ihre Scheinwerfer auf Ulrich Meyer, unseren obersten Richter.

Meyer zog in einer Pause zwischen zwei Einvernahmen über eine Bundesstrafrichterin her: «So eine Magersüchtige», «mit einem giftigen Blick», «die quasselt». Er könne, so behauptete Ulrich Meyer, diese Frau nicht länger als zwei Sekunden anschauen.

Dummerweise lief ein Band mit.

Die Pointe: Seine sexistischen Äusserungen über eine Richterin machte Meyer ausgerechnet im Rahmen einer Untersuchung zu Sexismus am Bundesstrafgericht.

Das Wesen der Klischees

Dass Ulrich Meyer in seinem Diffamierungsversuch zu sexistischen Klischees griff, ist bedauerlich, aber nicht weiter erstaunlich. Wir alle saugen Klischees auf wie ein Schwamm, und sie kleben an uns wie Kletten. Wir liegen mit ihnen zwar nie total richtig, weil sie immer ein unvollständiges Bild abgeben, aber auch selten total daneben.

Wenn wir Ulrich Meyer also als «alten weissen Mann» etikettieren, tun wir ihm keine Gewalt an. Mit seinem frauenverachtenden Verhalten arbeitete er dem Klischee bereitwillig in die Hände: privilegiert und gewohnt, die Definitionsmacht innezuhaben, legt sich der alte weisse Mann keine Rechenschaft darüber ab, dass er seine Macht nicht zuletzt den zufälligen Eigenschaften «gebildet», «weiss» und «männlich» zu verdanken hat. Dumm nur, dass das Monopol auf die Geschichten, die wir uns von uns erzählen, nicht mehr bei seinesgleichen liegt.

Schnöden nur von unten

Ulrich Meyer hat sich für seinen Ausfall nach allen Regeln der Kunst entschuldigt und die obligaten Rücktrittsfragen entschärft. Doch die Geschichte wird an ihm hängen bleiben. Ist das gerecht? Wo Meyer doch nur im falschen Moment über eine Kollegin geschnödet hat?

Das Schnöden ist nie eine feine Sache. Dennoch kann es im Berufsalltag manchmal guttun. Allerdings sollte diese Form der Psychohygiene ein Privileg der Untergebenen sein. Sie darf von unten nach oben gehen. Weniger von oben gegen unten. Und derzeit eher von Frau zu Mann als von Mann zu Frau.

Sonst fällt man aus der Rolle. Und aus der Zeit. Wie der alte weisse Mann. Alles wird gut.

Ursula von Arx weiss, dass auch Macker gute Chefs sein können. Und sie hasst üble Nachrede besonders, wenn sie als Freundlichkeit getarnt auftritt. Sie schreibt jeden zweiten Montag im BLICK.

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