Ehe für alle
Ja, ich will. Natürlich will ich

Es ist doch ganz einfach: Die Schweiz ist eine Demokratie, und in einer Demokratie gelten gleiche Rechte für alle. Das steht sogar so in der Verfassung: Das Recht auf Ehe und Familie ist gewährleistet. Ohne Einschränkung.
Publiziert: 23.08.2021 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 01.09.2021 um 16:31 Uhr
Die Schriftstellerin Milena Moser schreibt im SonntagsBlick Magazin über das Leben. Sie ist die Autorin mehrerer Bestseller. Ihr neustes Buch heisst «Das schöne Leben der Toten».
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Milena MoserSchriftstellerin

Es ist vielleicht zwanzig Jahre her, dass unsere Freunde Jeff und Jim verkündeten, sie hätten am Vortag geheiratet. Wir lebten damals in San Francisco, wo die gleichgeschlechtliche Ehe gerade legalisiert worden war. (Allerdings nur vorübergehend: Nach zwei Monaten griff die Regierung ein und erklärte die ausgestellten Trauscheine für ungültig. Die Ehe für alle wurde erst ein paar Jahre später zugelassen, 2008 in Kalifornien, 2015 im ganzen Land.)

Jedenfalls während die Erwachsenen jubelten und gratulierten, stemmte mein jüngerer Sohn die Arme in die Seiten. «Wie, ihr habt geheiratet?», rief er empört. «Das wusste ich ja gar nicht!» Er rannte in sein Zimmer und knallte die Türe zu. Wir wechselten verunsicherte Blicke. Was war bloss in ihn gefahren? Er kannte Jeff und Jim seit Jahren als Paar. Warum jetzt plötzlich dieser Ausbruch? Doch es dauerte nicht lange, da stand er wieder in der Küche. Er hatte sein Pyjama gegen einen schwarzen Polyesteranzug getauscht, komplett mit Hemdkragen und Gummizugkrawatte.

«Ich gratuliere euch!», schrie er und umarmte die beiden Männer. Seine, wie er fand, dem feierlichen Anlass nicht angemessene Kleidung hatte ihn aus der Fassung gebracht, nichts anderes. Eine Hochzeit war schliesslich etwas Besonderes. Das wusste er. Egal, wer heiratet.

Dass man auf viele Arten leben kann, haben meine Kinder während unserer Jahre in San Francisco automatisch mitgekriegt. Sie kannten Kinder, die bei den Grosseltern aufwuchsen, mit alleinerziehenden oder verheirateten Eltern, geschiedenen oder wieder verheirateten. Mit einem Vater und einer Mutter, oder mit zwei Vätern oder zwei Müttern. Kinder in Zweipersonenhaushalten oder traditionellen Grossfamilien oder in zwei Wohnungen mit einem ganzen Netz von Bonus-Eltern und -Geschwistern. Es gab so viele unterschiedliche Familienformen, dass eine Norm nur schwer auszumachen war. Die Norm ist überbewertet, lernte ich damals. Menschen sind Menschen, Liebe ist Liebe, eine Familie ist eine Familie ist eine Familie.

Die Freundschaften, die in dieser Zeit entstanden, sowohl zwischen den Kindern wie auch zwischen den Eltern, beruhten auf ganz anderen Dingen. Die Kinder interessierte allenfalls, wie lasch oder streng die anderen Eltern den Fernsehkonsum regelten oder was es bei ihnen zu essen gab. Ähnlich war es unter den Erwachsenen. Wir waren einander sympathisch oder eben nicht. Wir fanden uns über gemeinsame Interessen, wir diskutierten schlaflose Nächte, kurzfristig angekündigten Unterrichtsausfall und anspruchsvolle Lehrpersonen. Die sexuelle Orientierung spielte keine Rolle. Warum sollte sie auch?

Als vor ein paar Jahren mein Roman «Land der Söhne» erschien, wurde ich gefragt, ob die Figur der elfjährigen Sofia, die mit zwei Vätern aufwächst, ein politisches Statement sei. Nein. Ist sie nicht. Sofia verkörpert einfach eine dieser Möglichkeiten, eine von vielen. Das ist keine Fiktion, und sollte auch in der Schweiz keine bleiben. Ganz ehrlich, ich verstehe die Aufregung nicht. Sie ist mir suspekt. Wie wacklig muss denn das eigene Lebensgerüst gebaut sein, wenn es schon bei der Andeutung anderer Möglichkeiten in sich zusammenfällt? Wer mit sich selbst und seiner Lebensform im Reinen ist, fühlt sich nicht so schnell bedroht. Die Ehe für alle nimmt schliesslich niemandem etwas weg. Sie gefährdet nichts. Sie bestätigt nur, was ohnehin schon gelebt wird: Möglichkeiten.

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