Das meint SonntagsBlick zum Zoff im Job
Dichtestress am Arbeitsplatz!

Unter «Arbeitsverdichtung» versteht die Betriebswirtschaft eine Zunahme der pro Zeiteinheit erbrachten Leistung. Konkret heisst das: Mehr Druck auf die Angestellten. Und insbesondere in den Firmen jagt eine Reorganisation die nächste.
Publiziert: 29.04.2018 um 00:13 Uhr
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Aktualisiert: 19.10.2018 um 10:47 Uhr
Gieri Cavelty
SonntagsBlick Chefredaktor Gieri Cavelty.

Dichtestress. Das Wort wurde populär im Zusammenhang mit der Zuwanderung und angeblich immer vollen Zügen. Mittlerweile dämmert vielen, dass der Begriff eigentlich mehr auf die Arbeitswelt an sich zutrifft als auf die Fahrt ins Büro.

Unter «Arbeitsverdichtung» versteht die Betriebswirtschaft eine Zunahme der pro Zeiteinheit erbrachten Leistung. Für die Angestellten bleibt weniger Luft, der Druck steigt. Und insbesondere in den grossen Unternehmen jagt eine Reorganisation die nächste.

Eben: Dichtestress.

Das Prinzip kannte schon Karl Marx. Im «Kapital» schreibt er: «Die moderne Industrie betrachtet die vorhandene Form eines Produktionsprozesses nie als definitiv. Beständig wälzt sie die Funktionen der Arbeiter um.»

Mit der Digitalisierung jedoch hat sich das Tempo der Arbeitsverdichtung in einem solchen Mass beschleunigt, dass Marx in seinem Grab nur so rotieren würde.

Für Angestellte von Banken und Versicherungen etwa steht im Schnitt alle drei Jahre ein Jobwechsel an. Dieser erfolgt zunächst firmenintern – gerade für ältere Arbeitnehmende aber ist irgendwann jählings Schluss.

Mittlerweile leidet jeder zweite Beschäftigte psychisch, die Zahl der Krankheitstage steigt.

Und wie SonntagsBlick-Redaktor Harry Büsser in der aktuellen Ausgabe zeigt, sorgt der Dichtestress in der Wirtschaft für mehr Zwist und Rechtsfälle.

Natürlich profitieren wir als Konsumenten von den Neuerungen. Ja, sie sind ein Segen! Denn das ist der zweischneidige Charakter unserer Zeit: Die digitale Welt kennt ausschliesslich 0 und 1.

Mal ist alles null, dann wieder ist alles eins a. Die digitale Ära ist ein Zeitalter der Extreme.

Der Stress in der Arbeitswelt jedoch: Er ist und bleibt in jedem Fall nur null und negativ.

Klingelt bei Ihnen etwas beim Stichwort Nokia?

Einst beherrschte der Konzern aus Finnland den Handymarkt. Dann kam Apple mit dem iPhone – und Nokia war mit einem Wisch weg vom Bildschirm.

Der Wirtschaftswissenschaftler Timo Vuori hat diesen Niedergang rekonstruiert. Sein Fazit: Nach der Präsentation des iPhone verfiel Nokia in den Stressmodus. Das störte und zerstörte die firmeninterne Kommunikation. Fehleinschätzung reihte sich an Fehlentscheid. Der Nokia-Vorstand tobte. Statt über Innovationen nachzudenken, versuchten die Angestellten, ihre Chefs mit geschönten Zahlen zu besänftigen.

Dabei hätte Nokia mit Apple technisch locker mithalten können.

Ein anderer Forscher aus Finnland heisst Juhani Ilmarinen. Der Psychologe hat nachgewiesen, wie ein Vorgesetzter seine Mitarbeiter zu Höchstleistungen beflügelt: Er muss ihnen Zeit zum Atmen und zum Denken lassen.

Und Karl Marx? Der schärfste Kritiker von Ausbeutung und Kapitalismus würde am kommenden Samstag 200 Jahre alt. Da hat man natürlich ganz grundsätzlich nichts zu lachen. Bei Marx kommt erschwerend hinzu: Wer dessen Grab in London besuchen will, muss vier Pfund Eintritt zahlen.

Was für ein Triumph des Kapitals!

Den Bericht über Marx’ letzte Ruhestätte lesen Sie im Magazin des neusten SonntagsBlicks.

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