Yurr, liebe Leserinnen und Leser! Es gibt Momente, da fühle ich mich – mit 41 Jahren – ziemlich alt. Zum Beispiel diese Woche, als der Langenscheidt-Verlag die zehn Begriffe bekannt gab, die 2024 für das Jugendwort des Jahres nominiert sind. Ich wette, auch Sie kennen kaum einen davon.
Oder wussten Sie, was «Yurr» bedeutet? Das erste Wort dieses Editorials benutzen viele Junge, wenn sie sich begrüssen («Yurr! Was ging am Wochenende?») – oder einfach als cooles «Ja».
Laut Langenscheidt reden sich viele Teenager auch mit «Akh» an, dem arabischen Wort für Bruder («Was geht morgen, Akh?»).
Sieger von 2012 wieder dabei
Auch Talahon kommt aus dem Arabischen. Es bedeutet «Komm her» und wird ausserdem für Menschen mit stereotypen Merkmalen oder Verhalten genutzt («Mit meiner Brusttasche fühle ich mich heute wie ein Talahon.»). Auf Tiktok geht der machohafte Talahon-Trend – gern auch mit ironischem Unterton – gerade viral.
Am ehesten gehört haben Sie wohl schon die Begriffe Digga(h) als Anrede für einen Freund und das Jugendwort des Jahres 2012, das es erneut in die Shortlist geschafft hat: Yolo, die Abkürzung für «you only live once». Meist wird das als Rechtfertigung für impulsive, nicht sehr nachhaltige Entscheidungen verwendet («Gestern mein ganzes Gehalt für Bubble Tea und Klamotten ausgegeben. Yolo!»)
Manche Erwachsene wittern jetzt wieder den grossen Sprachzerfall. Doch ich kann Sie beruhigen: Die Jugendsprache beweist selbstverständlich nicht, dass Teenager kein «richtiges» Deutsch mehr können. Im Gegenteil: Sie zeugt von Innovation und Kreativität.
Sehen wir es als Einladung
Sprachwissenschaftler können belegen, dass die meisten Jugendlichen ihre Ausdrucksweise an ihre Gesprächspartner und das jeweilige Thema anpassen. Mit der Lehrperson sprechen sie also anders als mit Klassenkameraden. Ein Forschungsprojekt der Universität Zürich fand zudem keine Hinweise darauf, dass private Texte junger Menschen (zum Beispiel Whatsapp-Nachrichten) einen Einfluss auf das Schreiben in der Schule haben.
Jugendliche nutzen die endlosen Möglichkeiten der Sprache einfach intensiver als ältere, erfinden neue Wörter oder kupfern sie aus anderen Kulturkreisen ab. Häufig bewusst, um sich abzugrenzen. Oft aber auch, ohne es gross zu merken.
Die Sprache unserer Kinder und Enkel ist also weder falsch noch ein Zeichen für den Untergang unserer Zivilisation. Betrachten wir sie einfach als Einladung, neue, lustige, oft auch treffende Wörter kennenzulernen. Schliesslich verlangen wir von Schülerinnen und Schülern, dass sie sich auf die Sprache Goethes und Schillers einlassen. Da ist es nur fair, wenn wir dem Slang der Jugend offen gegenüberstehen. Yurr!