Frank A. Meyer – die Kolumne
Hahaha

Publiziert: 20.08.2023 um 00:16 Uhr
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Aktualisiert: 20.08.2023 um 08:47 Uhr
Foto: Antje Berghaeuser

Was haben wir da nicht alles gehört: China überholt die USA. Xi Jinping regiert die zweitgrösste Wirtschaftsmacht der Welt. Der Westen ist im Niedergang. Alles steht zum Schlimmsten. Oder zum Besten. Je nach Standort – aus der Sicht von Politikern, aus der Sicht von Managern.

Die sanften Begriffe zur eben noch aktuellen Sachlage: China, der Rivale. – Xi, der Autokrat. Für manche der perfekte Wunschpartner. Geht es verharmlosender?

Auch Grund zu Heiterkeit hatten die Sinophilen immer wieder: Hier der überlegen lächelnde Xi, dort der ständig stolpernde Biden! Sieger und Verlierer – Bilder fürs Geschichtsbuch.

Hahaha, zum Totlachen.

Man war sich seiner Sache sehr gewiss. Bis gestern noch, als der deutsche Chemiekonzern BASF ein Zehn-Milliarden-Projekt in China ankündigte, von Peking-Bewunderern mit Inbrunst besungen.

Nun aber hören wir und lesen wir Unerwartetes: China droht eine Hungersnot; Chinas Immobilienrausch ist zu Ende; Chinas industrielle Fertigung hängt ab von ausländischer, von westlicher, von holländischer Toptechnologie.

Das deutsche Blatt «Die Welt» stellt bang die Frage: «Ist das schon der Anfang vom Ende der Ära Xi?»

Xis Debakel soll verschwiegen werden, vor dem eigenen Volk wie vor der Weltöffentlichkeit, weshalb schon die Weitergabe simpler Handelsstatistiken unter Strafe steht. Überhaupt sind China-Daten neuerdings spärlich. Die Propaganda von der unwiderstehlichen Potenz des Reichs der Mitte duldet keinen Widerspruch – vor allem nicht durch Fakten. Wer in die jüngste Geschichte blickt, erinnert sich an die ökonomische Hochstapelei der DDR: Sie rangiere unter den Weltwirtschaftsmächten auf Platz 14, wenn nicht gar auf Platz 7.

Nun durchdringt katastrophale Kunde die chinesische Schweigemauer: Die Arbeitslosenquote der städtischen Jugend übersteigt 20 Prozent, manche Quellen sprechen von 50 Prozent. Zahllose Hochschulabsolventen finden bestenfalls Hilfsjobs. Viele hoch qualifizierte junge Menschen möchten auswandern. Das Problem ist schon gelöst – die Leiterin der Auswandereragentur wurde verhaftet.

Trister Titel in der «Neuen Zürcher Zeitung»: «Chinas Jugend hat das Gefühl für den Sinn des Lebens verloren.» Was der Sinn des Lebens ist, bestimmt die Kommunistische Partei – und Xi wacht darüber.

Dem Westen geht allmählich ein Licht auf. Die Konfuzius-Institute an vielen Universitäten, auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz, entpuppen sich als Pekings Einfluss-Agenturen, auch als Nester der Nachrichtendienste. Überhaupt: Was hat der Historien-Heilige Konfuzius mit der Kommunistischen Partei zu tun? Was mit dem brachial-brutalen Kapitalismus, der unter dem Mantel des Marxismus in der Volksrepublik praktiziert wird?

Wer mit China einen Deal eingeht, wer investiert, wer sich auf Partnerschaften einlässt, der betreibt sein Geschäft in letzter Konsequenz mit der Kommunistischen Partei, neuerdings mit deren ewigem Führer.

Was ist stärker als jeder Geschäftsvertrag?

Xis Fingerschnippen.

Woran könnte es liegen, dass der westlichen Traumtänzerei mit der antiwestlichen Weltmacht gerade das böse Erwachen folgt? Dass das Lotterbett von Kommunismus und Kapitalismus nicht funktioniert? Dass diese neoliberal inspirierte Faschismus-Formel scheitert?

Womöglich ist die absurd-logische Urformel der offenen Gesellschaft Grund dafür: Versuch und Irrtum als Denkprinzip, als Bewegungsprinzip. Alles, was als richtig erkannt wird, könnte auch falsch sein, also ist jede Überzeugung, ob in der Wissenschaft oder in der Wirtschaft, Gegenthesen auszusetzen – zu falsifizieren.

Widerspruch als Fortschrittsprinzip.

Widerspruch als gelebte Freiheit – und damit als Grundlage der ganz praktischen Erfolge moderner, weil demokratischer Gesellschaften.

So funktioniert der Westen.

Zwar wird die demokratische Kultur von einer antikapitalistischen Allianz der Links- und Rechtsaussen geschmäht. Zwar wird sie verraten in den autoritären Tagträumen globaler Investoren und Manager. Zwar besingt eine universitär verhätschelte Elite in den Medien ihren Niedergang.

Doch sie ist quicklebendig.

Die westliche Welt bringt alles hervor, wonach sich die Menschen sehnen: sozial gesicherte Lebensgrundlagen, wirtschaftlich verwertbare Wissenschaft, friedlich ausgetragenen politischen Streit, unveräusserliche Freiheitsrechte des Einzelnen.

Was ist, wenn all dies fehlt? Wenn Machthaber durch die Fakten falsifiziert sind? Wenn sie den gesellschaftlichen Widersprüchen weichen müssten? Wenn nur noch der Widerspruch durch den Bürger helfen könnte?

Was, wenn die demokratische Dialektik fehlt? Dann herrscht Stillstand.

Xi ist an diesem Punkt.

Ebenfalls in der «NZZ» war jüngst die Schlagzeile zu lesen: «China isoliert sich mit seiner Aggressivität.» Ja, wer im eigenen Land nicht mehr weiterweiss, sucht sich nach altem Rezept einen Feind draussen in der Welt. Wer ist der Feind in diesem Fall? Erraten – der Westen.

China Rivale und Xi Autokrat?

Diktatur und Feind.

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