Dieser Moment, wenn deine Verabredung, auf die du wartest, auf dich zugelaufen kommt und du sofort merkst, dass mindestens zehn Kilo fehlen und dein Kollege total erschlankt ist. Ich lächle. Er lächelt. Er weiss, dass ich es sofort sehe, und freut sich. Zu Recht.
«Kannst du bitte noch mal herlaufen», sage ich zu ihm. Er lacht. Mein Kollege sieht richtig gut aus, sein Gesicht (da sieht man die Veränderung ja immer am deutlichsten) ist total schmal. Kein Bäuchlein mehr. «Sieht man es?», fragt er noch etwas ungläubig. «Äh, ja, total!» Er habe sich gesagt: Du hast während des Lockdowns und den drei Monaten zu Hause zwei Möglichkeiten – entweder du isst und lässt dich gehen, oder du unternimmst etwas. Er entschied sich für Letzteres. Eine App, in die er alles, was er ass, eintrug und regelmässiges Joggen halfen ihm.
Man freut sich für den Kollegen, der strahlt und sagt, dass er sich noch nie so wohlgefühlt habe. Dass er den Sport jetzt brauche und dass er das doch gar nicht wollte. Aber die Kilos seien einfach gepurzelt. Natürlich ist man etwas neidisch, wenn es wieder einer geschafft hat, lästige Kilos loszuwerden. Wenn einer den Lockdown genutzt hat, statt Trost in Chips und Wein zu finden.
Und obwohl die meisten genau wissen, wie abnehmen oder sich gesund ernähren funktioniert, hört man jeder Abnehm-Geschichte mit gespitzten Ohren zu. Vielleicht lernt man was Neues, vielleicht holt man sich eine Motivationsspritze. Aber in Wahrheit wartet man auf eine Wundererkenntnis, die Wein, Brot und Schokolade inkludiert und rein gar nichts mit Disziplin zu tun hat. Aber seine Abnehm-Story hört sich an wie alle. Und sie fangen alle gleich an. Nämlich mit den Worten: «Ich habe eigentlich gar nichts geändert.»
«Ich gehe jeden zweiten Tag laufen.» (Als er die App auf seinem Smartphone zeigt, steht da selten eine Zeit unter 1 Stunde oder eine Distanz unter 15 Kilometern.)
«Ich esse viel Proteine.» (Er meint damit «Trockenfleisch» und «tiefgekühlte Crevetten».)
«Aber ich gönne mir schon Pasta. Einfach nicht mehr so viel. Ich wiege jede Portion ab, nicht mehr als 85 Gramm dürfen es sein.» (Später im Gespräch stellt sich heraus, dass er nur noch Dinkel- und Vollkorn-Pasta isst.)
«Aber sonst habe ich wirklich nichts geändert.»