Fix zur Gesellschaft
Erstens kommt es anders, zweitens weiss man das meistens eh schon

Unsere Autorin hat eine Nacht im Freien verbracht. Ohne Zelt und Zivilisation. Doch es war nicht ganz so, wie sie sich das vorgestellt hat.
Publiziert: 16.08.2020 um 15:09 Uhr
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Aktualisiert: 09.10.2020 um 15:24 Uhr
Alexandra Fitz, stv. Leiterin SonntagsBlick Magazin
Foto: Thomas Meier
Alexandra Fitz

Unter freiem Himmel schlafen ist: gut gelaunt nach einem Plätzchen suchen, den schönsten Platz finden, den Sonnenuntergang bestaunen, den ganzen Abend am warmen Lagerfeuer sitzen, das Eindunkeln verfolgen, eine Flasche Rotwein, grillieren auf einem selbstgebastelten Rost, sich gegenseitig Geschichten erzählen, auf bequemen Matten liegen, eng umschlungen einschlafen, von den Waldgeräuschen in den Schlaf gewiegt werden, vom Mond begleitet, sich die ganze Nacht an den Händen halten, morgens vom Vogelgezwitscher geweckt werden und von der aufgehenden Sonne, sich aus dem warmen Schlafsack schälen, frischen Kaffee mit dem Gaskocher zubereiten und zufrieden auf das Tal blicken, das gerade erwacht.

Und dann schläft man tatsächlich einmal unter freiem Himmel.

Unter freiem Himmel schlafen ist: gestresst nach der Arbeit aufbrechen, den Bauern unterwürfig fragen: «Dörf ma do uffi laufa?», verzweifelt einen schönen Schlafplatz suchen, den Sonnenuntergang verpassen, beim Favoriten auf ein Pärchen treffen, das sich schon mit Decke, Schaumwein und schmieriger Musik eingerichtet hat, genervt weiterziehen, erst beim Eindunkeln ankommen, das Beste aus dem miesen Platz machen, nasses Holz sammeln, viel zu früh erloschenes Feuer, kalte Platte zum Znacht, zu wenig Bier und erst noch alkoholfrei, nur eine Stirnlampe, unheimliche Geräusche aus dem Wald, versehentlich an einem Hang liegen und immer weiter runterrutschen, zu kleines Mätteli, kaputter Schlafsack, Mücken, die einen drangsalieren, ein Mond, der einem ins Gesicht leuchtet, Männerstimmen aus dem Wald, Taschenlampen im Wald, wach liegen und auf der Lauer sein, schlaflos warten und froh sein, wenn der Tag anbricht, verknatscht und verlegen aufwachen, nasser, kalter Tau auf der Wiese, Tauschnecken überall, abgepackte, picksüsse Linzertörtli statt Morgenkafi, «Das ist nichts für uns» sagen, den Schlafsack nicht so verdammt klein zusammenfalten können und ihn nur halb in die Hülle stecken, übermüdet ins Tal marschieren.

Da hilft nur der Sprung in den See morgens um sieben Uhr. Abtauchen. Auftauchen. Denken: Schön war es trotzdem. Aber nur, weil dieser Mann, der genauso müde im Wasser treibt wie ich, mit dabei war.


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