Der richtige Umgang mit Impfskeptikern
Was die Schweiz von den USA lernen kann

Das einzige Land Europas, das bei Corona-Impfungen schlechter abschneidet als die USA, ist die Eidgenossenschaft. Ein Blick über den Atlantik verheisst nichts Gutes.
Publiziert: 08.08.2021 um 09:51 Uhr
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Aktualisiert: 13.08.2021 um 10:25 Uhr
Fabienne Kinzelmann, Auslandsredaktorin, berichtet bis Ende Oktober aus den USA.
Foto: Thomas Meier
Fabienne Kinzelmann aus Washington, D.C.

Eigentlich wollte ich nur Haferflocken kaufen, fast hätte ich noch eine Drittimpfung mitgenommen. «Free Covid-19 Vaccine here» stand auf einem Schild vor meinem neuen Lebensmittel-Dealer in Washington, der Supermarktkette Safeway: «Corona-Impfung gratis.» Daneben das Bild einer Banane mit Pflaster.

Was ist schon dabei, fragte ich mich ...

Die Wissenschaft rät, mit der nicht allzu lang zu warten, aber die Amis wollen offensichtlich nicht mehr. Erst mit einem Monat Verspätung hat US-Präsident Joe Biden sein Ziel erreicht, 50 Prozent der Bevölkerung zu immunisieren – sogar die EU war eine Woche schneller, obwohl der Impfstoff in den USA schon seit April für alle verfügbar ist.

Dann fand ich's aber doch pervers, mir mit 29 Jahren schon eine Auffrischungsimpfung auf Staatskosten zu gönnen – zwischen Fried Chicken und Pop-Tarts –, während in Afrika erst knapp über zwei Prozent der Bevölkerung geimpft sind.

Dass sich Menschen freiwillig nicht impfen lassen, macht mich wütend. Und ich bin nicht die Einzige, die zunehmend ihre Geduld verliert.

Der republikanische Senator Lindsey Graham wurde am Montag positiv getestet – eine seltene Durchbruchsinfektion trotz vollen Impfschutzes. «Ohne würde es mir viel schlechter gehen!», twitterte er – und wütet seither noch lauter gegen die Impfgegner in seiner eigenen Partei.

Sich impfen zu lassen, ist spätestens seit dem Auftauchen der Delta-Variante keine individuelle Entscheidung mehr. Es nicht zu tun, ist schlicht unsolidarisch. Vor allem mit all den Kindern, die sich nicht immunisieren lassen können, oft harmlose Verläufe haben, aber dann trotzdem unter Long-Covid-Folgen leiden. Oder mit Alten und Kranken, die bald kein freies Spitalbett mehr finden könnten.

Der US-Virologe Anthony Fauci rechnet im Herbst mit bis zu 200'000 neuen Infektionsfällen am Tag – und befürchtet wegen der vielen Ungeimpften und hohen Infektionszahlen das Entstehen neuer Corona-Varianten.

Eine Geschichte aus meiner deutschen Heimat hat mich vergangene Woche sehr amüsiert. In einem kleinen Ort im Erzgebirge bewegte die Aussicht auf eine Gratisbratwurst an einem Tag 150 Menschen zur Injektion.

Kinderkram, sagt ein Kollege von mir. Er hatte da gerade mit einem Amerikaner gesprochen, der mehrere Millionen in Gutscheine und Stadion-Tickets steckt, um Menschen zum Impfen zu bringen.

Einige mag das überzeugen. Das Wirkungsvollste ist aber am Ende wohl: Angst. Seit in den USA die ersten Spitäler erneut volllaufen, steigt die Impfbereitschaft wieder an.

Die Eidgenossenschaft ist übrigens das einzige Land in West- und Südeuropa, das beim Impfen sogar den USA hinterherhinkt. Hier liegt die Impfquote unter 50 Prozent.

Ich hoffe sehr, dass es in der Schweiz nicht auch erst schlimmer werden muss, bevor es besser wird.

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