Der Rekord lag bei 474'725. So viele Mitglieder zählte der Schweizerische Gewerkschaftsbund Mitte der 1970er-Jahre. Seither befindet sich der SGB im langsamen, allerdings unleugbaren Niedergang. Ende 2017 hatte er noch 353'647 Mitglieder.
In dem Masse, wie die Gewerkschaften schrumpfen, gewinnt die SVP an Einfluss.
Als oberster Gewerkschafter des Landes glaubt Paul Rechsteiner darum, gar nicht anders zu können, als den harten Mann zu markieren. Der blosse Verdacht, ein Rahmenabkommen mit der EU könnte den Arbeitnehmerschutz schwächen, genügte: Mit grosser Geste hat Rechsteiner diese Woche eine Übereinkunft mit der EU als Teufelswerk verdammt und ein Treffen mit Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann platzen lassen. Nur nicht den Anschein erwecken, die Linke verrate die Interessen des kleinen Mannes! Nur nicht noch mehr Büezer in die Arme der SVP treiben!
Dabei weiss auch Paul Rechsteiner, dass ein schlechtes Einvernehmen mit der EU den Schweizer Arbeitnehmern schadet. Dabei weiss auch Paul Rechsteiner, dass die EU spektakuläre Fortschritte erzielt hat beim Arbeitnehmerschutz. In der EU gilt heute: «Gleiches Entgelt für gleiche Arbeit am gleichen Ort.»
Die EU stösst sich keineswegs am Arbeitnehmerschutz. Sie wehrt sich freilich gegen Protektionismus. Die Schweizer Acht-Tage-Regel ist dafür ein Beispiel: Natürlich fühlt sich eine Firma aus Baden-Württemberg diskriminiert, wenn sie acht Tage warten muss, ehe sie in der Schweiz einen Auftrag erledigen darf.
Ganz so einfach ist die Sache natürlich auch wieder nicht. Unser Lohnniveau ist sehr viel höher als im übrigen Europa. Die Versuchung für ausländische Firmen, es eben doch mit Dumping in der Schweiz zu probieren – diese Versuchung gibt es bereits heute. Und sie würde bei einem völlig offenen Arbeitsmarkt bestimmt nicht kleiner.
Klar ist darum: Der Bundesrat hätte die Operation Rahmenvertrag anders angehen müssen. Die EU drängt seit Jahren auf eine Abschaffung der Acht-Tage-Regel. Mit etwas Voraussicht wäre das Wirtschaftsdepartement auf die heutige Situation vorbereitet gewesen. Warum etwa liess Johann Schneider-Ammann nicht schon längst einen Vorschlag ausarbeiten, wie sich die Lohnkontrollen ausweiten und wirksamer gestalten lassen?
Ebenfalls versagt haben die SP-Bundesräte. Der europapolitische Ehrgeiz von Alain Berset und Simonetta Sommaruga erschöpft sich darin, tunlichst darauf zu achten, mit dem Rahmenabkommen nichts zu schaffen zu haben. Überhaupt war dies die grösste Fehlleistung der Landesregierung in den letzten Wochen: Wie konnte der Bundesrat beschliessen, dass sich Schneider-Ammann alleine mit den Gewerkschaften treffen soll? Selbstverständlich hätte ein SP-Magistrat bei einem solchen Gespräch dabei sein müssen.
Theoretisch wäre es für eine Rettung des Rahmenabkommens nicht zu spät. Bis der Vertrag in Kraft träte, gäbe es Übergangsfristen von mehreren Jahren. In dieser Zeit liesse sich das Regime der Lohnkontrollen ganz neu und effizient organisieren.
So weit die Theorie. Leider nur passt das politische Personal nicht dazu. Zu ängstlich ist die Linke, zu linkisch der Bundesrat.
Das Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU ist derzeit in aller Munde und wird auf allen Ebenen heiss diskutiert. Doch was genau fällt eigentlich alles unter das Abkommen und was sind die Streitpunkte? Ausführliche Antworten gibt es hier.
Das Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU ist derzeit in aller Munde und wird auf allen Ebenen heiss diskutiert. Doch was genau fällt eigentlich alles unter das Abkommen und was sind die Streitpunkte? Ausführliche Antworten gibt es hier.