Anfang der 1980er-Jahre lockert die Schweizerische Nationalbank (SNB) die Geldpolitik, der Staat kurbelt mit Impulsprogrammen die Bauwirtschaft an. Der Häusermarkt floriert.
1987 erreicht der Boom eine neue Dimension, als die New Yorker Börse crasht. Weltweit öffnen Notenbanken ihre Geldschleusen. Aktien sind out – jetzt wollen alle Häuser haben. Die Schweizer Immobilienpreise schiessen in die Höhe.
Steigende Zinsen liessen Häuserpreise sinken
Die Banken vergeben Kredit um Kredit, denn sie sind überzeugt: Es gibt kein Risiko, die Zinsen steigen nicht. Nationalbankpräsident Markus Lusser verkündet im Sommer 1989: «Die Immobilienpreise können einstweilen sicher nicht ins Bodenlose fallen.»
Noch im gleichen Jahr sorgt Lusser selbst dafür, dass genau das geschieht: Die SNB erhöht die Zinsen. Die Panikreaktion ist Gift für den überhitzten Häusermarkt. Die Nachfrage bricht zusammen, die Preise rasseln in den Keller.
Eigenheimbesitzer werden von der Zinslast erdrückt, Rendite-Liegenschaften veröden. Die Betreibungsämter sind mit den Zwangsverwaltungen überfordert. Und die Banken ersaufen in faulen Krediten: Bis 1996 schreiben sie insgesamt 42 Milliarden Franken ab.
Immo-Crash riss die ganze Wirtschaft in den Abgrund
Die Grossbanken, die selber bluten, müssen Dutzende von Regionalbanken übernehmen, um sie vor dem Untergang zu bewahren. Die Spar- und Leihkasse Thun aber wird nicht gerettet. Verstörte Kunden stürmen im Oktober 1991 vergeblich ihre Bank: Die Schalter bleiben zu. Die Bilder des Dramas gehen um die Welt.
Der Immo-Crash reisst die ganze Wirtschaft nieder. Eine schwere Rezession bricht aus. 1997 druckt die SNB frisches Geld, die Konjunktur nimmt langsam wieder Fahrt auf. Die Schweiz hat das Schlimmste überstanden.
Häuserpreis hat sich seit 1998 verdoppelt
1998 heben die Häuserpreise erstmals wieder an. Und sie steigen immer weiter – angetrieben von den sinkenden Zinsen, die nach der Finanzkrise von 2008 sogar ins Negative fallen. Der Immo-Markt boomt – auch während der Pandemie: Die Nachfrage nach Wohnraum zieht noch stärker an. 2021 steigen die Häuserpreise um weitere sechs Prozent. Seit 1998 haben sie sich verdoppelt.
Heute kostet ein zehnjähriges Haus mit 140 Quadratmetern in Bern 1,5 Millionen Franken, in Lausanne fast zwei Millionen, in Zürich 2,5 und in Genf drei Millionen. Wer das Occasionshäuschen in der Rhonestadt will, muss über eine halbe Million Franken Eigenmittel und das Gehalt eines Bundesrats vorweisen: 450 000 Franken.
Die Inflation steigt
Der Boom hat 24 Jahre gedauert – jetzt endet er. Der Krieg in der Ukraine reisst die Lieferketten auseinander und treibt die Energiepreise in die Höhe. Die Folge: In den USA und Europa liegt die Inflation bereits bei über acht Prozent. In der Schweiz sind es fast drei Prozent. Und ein Ende der Fahnenstange ist nicht in Sicht.
Die US-Notenbank hat deshalb die Leitzinsen im Mai um 0,5 Prozent angehoben, so stark wie seit dem Jahr 2000 nicht mehr. Nun zieht die Europäische Zentralbank nach. Im Juli wird sie die Zinsen um 0,25 Prozent erhöhen – zum ersten Mal seit elf Jahren. Damit ist klar: Auch die SNB kommt um eine Zinserhöhung nicht herum.
Die Hypothekenanbieter haben bereits reagiert. Vor einem Jahr kostete eine zehnjährige Festhypothek ein Prozent. Im April 2022 waren es zwei Prozent. Heute liegt das von der Credit Suisse im Internet publizierte Angebot bei 2,84 Prozent, Raiffeisen offeriert 2,9 Prozent. Hinzu kommt: Bauen und Sanieren werden dieses Jahr um bis zu acht Prozent teurer, Heizen mit Fossilen kostet 40 Prozent mehr. Mit anderen Worten: Die Nutzungskosten steigen – der Wert der Häuser fällt. Im ersten Quartal 2022 ist die Preiskurve bereits abgeflacht.
Immobilienmarkt steht vor einem Wandel
«Das ist eine Zeitenwende für den Immobilienmarkt», sagt Donato Scognamiglio (52), Chef der Immobilienberatungsfirma IAZI. «Da donnert eine Lawine ins Tal. Sie bremst zwar, wenn sie die Grasnarbe erreicht. Aber wer nicht bremst, rutscht bis nach unten.»
Die SNB geht von einer Überbewertung der Immobilien von bis zu 30 Prozent aus. Bloss scheint das niemanden zu kümmern. «Es ist wie auf der Titanic», sagt Scognamiglio. «Die Champagnerkorken knallen bis zum Schluss.» Seit 1998 kenne die Branche nur den Aufwärtstrend. «Sie hat sich dumm verdient in dieser Zeit. Die meisten haben noch gar nie erlebt, dass der Zins auch bei sieben Prozent liegen kann und die Immobilienwerte fallen.»
In der Tat: Wer sich im Markt umhört, kriegt von Panik nichts mit. Gibt es gar keinen Eisberg? «Die Branche hat auch nicht mit Inflation und steigenden Zinsen gerechnet», sagt Scognamiglio. «Und doch ist jetzt beides Realität.» Dabei ist die Risikoeinschätzung nirgends wichtiger als im Immo-Markt. Scognamiglio: «Zwar gibt es in der Finanzwelt diverse Möglichkeiten, sich gegen Preiskorrekturen abzusichern. Aber im Immobilienbereich gibt es diesen Blitzableiter nicht.»
Mieten günstiger als Eigentum
Kürzlich haben die Zürcher Kantonalbank und die Credit Suisse verkündet, Mieten sei günstiger als Eigentum. In den letzten zehn Jahren haben sie das Gegenteil gesagt. «Das ist ein starkes Signal», betont Immobilienexperte Andreas Loepfe (57) von der Uni Zürich. «Die Erhitzungserscheinungen verlangsamen sich bereits. Die Abkühlung kommt.»
Es sei ein historischer Moment, sagt Loepfe: «Damit endet die Phase, die in den 1990er-Jahren begonnen hat. 2022 markiert das Ende des Prinzips Hoffnung. Das nächste Jahrzehnt sieht fundamental anders aus als das letzte.»