Kära Ikea, nun wo dein Schöpfer gestorben ist, scheint es mir an der Zeit, dir zu sagen, was du für unser aller Leben bedeutest. Was du uns gegeben hast, was wir mit dir erlebt haben und wie wir auf dich schimpften. Denn mit dir, Ikea, sind wir erwachsen geworden. Euphorisch schwebten wir zwischen deinen Wohnwelten hin und her. Glücklich, endlich in die erste eigene Wohnung zu ziehen. Im Schlepptau zwar noch Mutter (aber sie hatte eben das grosse Auto) und die WG-Gschpänli, die bei jedem Produkt erschraken: «Das ist aber teuer!» Zu dieser Zeit warst du eben das Ende unseres Möbelhorizonts. Finanziell und geschmacklich.
«Ah Ikea, das habe ich auch!»
Man kaufte bei dir ein, fühlte sich gross, schmunzelte über deine Produkte-Namen und fand alles ganz schön stylish. Da waren die peinlichen Momente noch weit weg, als man in fremden Wohnungen plötzlich das Gefühl hatte, bei sich zu Hause zu sein – weil überall «Billys» und «Expedias» standen, und man leicht verschämt sagte: «Ah, Ikea, das habe ich auch!» Trüben konnte den skandinavischen Möbeltraum eigentlich nur die Aufbauerei. Ikea, was haben wir deinetwegen geschwitzt und geschimpft. Immer zu wenig Nägel, immer zu viele Dübel. Die kleinen Inbusschlüssel finden wir heute noch in Schränken. Es sah immer so leicht aus, und wenn wir uns überschätzten und die Bedienungsanleitung nicht mal eines Blickes würdigten, stand das Teil am Ende schief, und wir durften von Neuem beginnen.
Du stelltest Beziehungen auf harte Proben. Es waren diese Auf-und-ab-Phasen, die du uns durchmachen liessest. Nach der WG kam der erste Zusammenzug mit dem Freund. Gefühlt gereifter, schwebten wir wieder durch deine Welten. Dieses Mal nicht in Gedanken an WG-Partys in einer deiner Küchen und Mitternachts-Snacks an einem deiner Tische, sondern an Sex im neuen Bett und an Wein aus richtigen Weingläsern. Knatsch gab es, denn sie wollte immer mehr als er. Er motzte beim Schleppen. Sie, weil sie dachte, er denke, sie sei handwerklich unbegabt. So baute man schweigend zusammen, lachte, als man fertig war über das unnötige Gezanke, und testete Gläser und Bett.
Der Ikea-Gründer Ingvar Kamprad ist tot. Das teilt das Unternehmen mit. Er starb im Alter von 91 Jahren.
Der Ikea-Gründer Ingvar Kamprad ist tot. Das teilt das Unternehmen mit. Er starb im Alter von 91 Jahren.
Altes und dunkles Holz statt helles und unschuldiges
Doch dann kamen das Umziehen, die neuen Wohnungen, die neuen Freunde – und der neue Geschmack. Individuell war jetzt angesagt. Brockenhaus-Stuben statt Möbelhäuser. Dunkles Holz mit Kerben und Spalten anstatt deine helle, unschuldige Kiefer. Aber wir waren gnädig. Funktionelles und Produkte, die deine Herkunft nicht verrieten, durften bleiben. Wir mischten dich darunter. In der Hoffnung, du würdest nicht gross auffallen. Und zufrieden sein, dass du trotz erweitertem Möbelhorizont bleiben darfst. Dich zu besuchen, war kein Vergnügen mehr, sondern eher eine Qual. Wir kamen nur noch samstags. Zu dir in die Agglo zu fahren, erschien uns falsch und bünzlig.
So bist du Stück für Stück auf Ricardo und – sorry! – auf der Strasse gelandet. Aber glaub mir bitte, jeder hat noch irgendwo ein Teil von dir. Auch wenn es «Billy» im Keller ist. Und glaub mir bitte auch, es passiert heute noch, dass ein Besucher in einer Millisekunde dein Bett erkennt und sagt: «Ah, Ikea, das habe ich auch!»