Ameisen im Haus
Wie ihr die faszinierenden Viecher loswerdet

Ameisen sind wieder in euren Häusern unterwegs. Nach diesem Artikel werdet ihr die faszinierenden Tiere nicht mehr massenweise umbringen können – aber keine Angst: Wir erklären euch, wie ihr die Dinger trotzdem loswerdet.
Publiziert: 19.07.2024 um 14:26 Uhr
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Aktualisiert: 20.07.2024 um 11:22 Uhr
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Waldameisen beim Trinken.
Foto: Getty Images
Silvia Tschui

«Ui!», «Wäh!», «Iiih!». Und nochmals: «Ui nei!», so klingt es wohl gerade in vielen Haushalten. Ursache: Tausende kleiner Krabbeltiere mit sechs Beinen, die nach ihrer Winterruhepause im Frühling aktiv werden und auf der Suche nach Unterschlupf oder Nahrung eure Wohnungen und Häuser durchkämmen. Sie kommen aus Ritzen, von denen ihr nicht wusstet, dass sie überhaupt existieren, und sie verschwinden in Ritzen, von denen ihr nicht wisst, was an ihnen interessant sein soll. In eurem eigenen, privaten Fall verschwinden sie unterhalb eines alten Druckers, der kurz vor dem Lockdown seinen Geist ganz aufgegeben hat und deshalb noch rumsteht, in einer Bodenritze eures Altbau-Riemenbodens. Dort hat es offenbar prima Platz, um ein neues Quartier aufzuschlagen.

Ihr habt etwas dagegen: Nur schon die Anreiseroute der Miniatur-Armee stresst euch. In einer ungefähr fünf Zentimeter breiten Strasse erobert sie in gefühlt nullkommaplötzlich über die Holztreppe den oberen Stock. Natürlich stimmt das nicht: Einzelne Späherameisen waren seit Tagen unbemerkt unterwegs, checkten weiträumig die Umgebung ab und legten, sobald sie Nahrung oder einen idealen neuen Nistplatz gefunden haben, eine Spur aus duftenden Hormonen, Pheromone genannt. Die sagt in etwa: Hey! Alle mal herhören! Hier entlang! Umzug, jetzt, los! Worauf sich Ameisenarbeiterinnen in Heerscharen auf den Weg machen – und dabei doch ziemlichen Ekel auslösen: Zu krabbelig, zu wuselig, zu organisiert, zu fremd sind sie uns.

Wer Pech hat, kriegt Pharaoameisen – da nützt nur der Profi

Die erste Frage, die ihr euch stellt: Wie bringt man die Viecher wieder los? Gar nicht so einfach, wenn ihr lernt, dass ungefähr 100 staatenbildende Ameisenarten in der Schweiz leben und für einzelne Ameisenarten unterschiedliche Bekämpfungsmethoden Wirkung zeigen. Pharaoameisen etwa, eine im 19. Jahrhundert über den Handel aus Indien eingeschleppte Art, nisten in rund 80'000 Exemplaren umfassenden Völkern ausschliesslich in Gebäuden und übertragen Krankheiten. Es braucht ungefähr ein Jahr professionelle Bekämpfung, um sie wieder loszukriegen.

Meine Ameisen sind grösser und dunkler als die rötlichen Mini-Pharaoameisen, zeigt ein Kontrollblick ins Internet. «Uff!» zu denken, ist aber verfrüht. Der Kontrollblick zeigt auch: Schockschwerenot, es könnte sich bei meinen neuen Mitbewohnern um Holzameisen handeln. Und die sind nun wirklich kein Spass – sie nisten sich gern in Holzbalken ein, auch tragenden. Ein Volk kann rund zwei Millionen Exemplare stark werden. Nach einem längeren Befall ist die Bausubstanz ruiniert.

Ameisen sind auch Landwirte, Baumeister, Nutztierhalter

Die Dinger wieder loszuwerden, ist aber auch aus einem anderen Grund nicht einfach: Lest ihr euch ein, offenbart sich allerhand Interessantes, was uns Ameisen eigentlich gar nicht so fremd, sondern – im Gegenteil – ziemlich vertraut erscheinen lässt. Ziemlich viele kulturelle Errungenschaften, auf die wir Menschen so stolz sind, machen sich auch Ameisenvölker zu eigen. Landwirtschaft etwa oder Bauwesen.

Besagte Holzameisen kultivieren etwa Blattläuse – das ist jedem Gärtner bekannt. Sie setzen die Läuse gezielt auf Pflanzen, hätscheln und pflegen sie und verteidigen sie vehement gegen Fressfeinde, um schliesslich den stark zuckerhaltigen Ausscheidungstropfen zu ernten, den Blattläuse absondern. Von diesem ernähren sie sich aber nicht nur, sie brauchen diesen Honigtau genannten Zucker auch als Bausubstanz: Da die Holzameisen das Holz zersetzen und aushöhlen, müssen sie für eine festere Struktur rund um ihr Nest sorgen. Die Arbeiterinnen vermischen dazu Holz, Erde und den Blattlauszucker. Ein eigens ins Nest getragener Pilz breitet sich darauf gut aus und bildet Mycelgeflechte, welche wiederum das Nest härten. Holzameisen betreiben also nicht nur Nutztierhaltung, sondern auch ein ausgeklügeltes Bauwesen, in welchem sie sogar ihren Baustoff 

Arbeitsteilung mit vielen Pausen

Neben dem Bauwesen haben Ameisen aber auch anderes perfektioniert, welches wir aus unseren eigenen Gesellschaften kennen, aber längst nicht so perfekt praktizieren wie die vermeintlich simpler gestrickten Ameisenstaaten: Arbeitsteilung zum Beispiel.

Wer Ameisen beruflich beobachtet, wie etwa die deutsche Ameisenforscherin Susanne Foitzik, deren Buch «Weltmacht auf sechs Beinen» Ende letzten Jahres bei Rowohlt erschienen ist, weiss, dass Ameisen gar nicht so pausenlos arbeiten, wie es sprichwörtlich geworden ist, sondern durchaus mal stundenlange Pausen einlegen. Je nach Art sind sogar nur ungefähr 30 Prozent der Ameisen aktiv. Dies nicht, weil 70 Prozent eines Volkes faul sind, sondern weil es dem Gemeinwohl dient: Würden sich einzelne Individuen gegenseitig bei einer Arbeit behindern, stoppen andere sofort, um Energie und Ressourcen zu schonen. Sogenannte Bullshit-Jobs, also völlig unnütze, sinnlose Jobs, die gemäss dem US-Anthropologen David Graeber ungefähr die Hälfte der Jobs in unserer Gesellschaft ausmachen, gibt es bei den Ameisen jedenfalls nicht.

Auch sonst ist so ein Ameisenstaat ein Wunder an effektiver Arbeitsteilung, wobei fast jede Ameise unterschiedliche Stadien in ihrem Berufsleben durchläuft. Junge, frisch geschlüpfte Individuen widmen sich meist der Brutpflege und umsorgen Eier und Larven, etwa indem sie sie füttern oder je nach Witterung jeweils in eine geeignetere Brutkammer in ihrem Nest umlagern, in welcher gerade die idealste Temperatur und Luftfeuchtigkeit herrschen.

Ameisen üben in ihrem Leben viele Berufe aus

In späteren Lebensphasen spezialisiert sich die einzelne Ameise auf verschiedene Tätigkeiten: Neben den eingangs erwähnten Späherinnen, denen ihr eure Invasion zu verdanken habt, braucht ein Volk auch Kriegerinnen. Sie schützen das Nest gegen Eindringlinge wie etwa rivalisierende oder räuberische Völker. Und es braucht Arbeiterinnen, welche Nahrung herbeischaffen – übrigens schleppen Ameisen je nach Art ungefähr das Fünfzig- bis Hundertfache ihres Körpergewichts. Das wäre, als ob ein Mensch von rund 70 Kilo mal eben eine Kuh über eine längere Distanz tragen würde. Versuche von Ameisenforschern zeigen übrigens, dass Ameisen hierbei durchaus individuelle Vorlieben entwickeln und auch einmal den Job wechseln, wenn ihnen eine Aufgabe langweilig wird.

Dass hier ständig die weibliche Form verwendet wird, hat einen Grund: Bei den meisten Arten sind Ameisenmännchen nur fliegende Spermien- und Nährstoffpakete, die nach einem Hochzeitsflug und der Paarung mit einer Königin nutzlos geworden sind, gleich darauf sterben, von Ameisenarbeiterinnen aufgesammelt und wiederum an den Nachwuchs verfüttert werden – sorry, Ameisenmännchen.

Und wenn hier das Wort Königin verwendet wurde, ist das, unemotional gesehen, eigentlich auch falsch: Gebärmaschine müsste das eigentlich heissen, denn zu bestimmen hat so eine Königin eigentlich wenig. Eier legen, ansonsten schön stillhalten ist eher der Lebensinhalt einer Königin, die bis zu 150 Millionen Nachkommen legt. Die Entscheidungen, etwa über Umzüge, fällen hingegen ihre Töchter – und dies ziemlich demokratisch, indem es etwa Späherinnen gelingt, ihre Schwestern von einem neu entdeckten Ort zu überzeugen.

Solidarische, demokratische Kommunikationsprofis

Auch da, in der Kommunikation, haben uns die Ameisen so einiges voraus. Während wir uns höchstens mal etwas einparfümieren, um anderen zu signalisieren: He, ich bin im Fall geduscht und trag mir auch etwas Sorge, kommunizieren Ameisen viel Komplexeres mit Duftstoffen – den eingangs erwähnten Pheromonen, die sie nicht nur zur Weitergabe von Informationen über Nahrungsquellen einsetzen. Am Duft erkennt eine Ameise auch, ob es sich bei einem anderen Individuum um eine Schwester handelt oder nicht – jedes Ameisennest hat seinen ganz eigenen Duft. Kann eine Ameise also eine andere nicht riechen, wird sie bekämpft.

Ameisen kommunizieren aber auch über ihre Fühler: Hat eine etwa Hunger und betrommelt eine andere ums Gesicht herum, würgt die betrommelte Schwester sofort einen Zuckertropfen hervor. Solidarisch sind die Krabbler also auch.

Je länger ihr euch mit Ameisen beschäftigt, desto faszinierender werden sie. Viele Arten verfügen über einen Magnetkompass, spüren also, wie das Magnetfeld der Erde verläuft. Ausserdem verfügen Ameisen über Sensoren, welche ihnen über Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Kohlendioxidgehalt der Luft, etwa in ihrem Nest, Auskunft geben.

Nützlinge sollt ihr nicht töten – welches Hausmittel tatsächlich gewirkt hat

In welchem Feld sie uns zudem haushoch überlegen sind: Anders als wir sind Ameisen global gesehen eher Nützlinge als Schädlinge. Die weltweit bekannten rund 13'000 Arten durchpflügen die oberen Erdschichten und helfen beim Abbau und der Zersetzung von organischem Material – stärker noch, als dies die viel gepriesenen Regenwürmer tun. Sie verbreiten Pflanzensamen, regeln den Insektenbestand und halten so ganze Ökosysteme im Gleichgewicht.

1a-Viecher sind diese Ameisen also. Nur in eurem Haus wollt ihr sie nicht haben. Internettipps, wie man sie loskriegt, gibt es viele – viele barbarische. Backpulver streuen etwa. Das, sagt das Internet, sollen die Viecher fressen, worauf es in ihrem Magen aufquellen und sie sozusagen von innen zerreissen soll. Ihr wollt den Nützlingen aber nicht schaden, bloss weggehen sollen sie. Zitronen- und Gurkenscheiben auf die Strasse gelegt, kümmern sie herzlich wenig.

Auch Salz, ein Tipp vom Nachbarn, ist ihnen egal – die schwarze Armee räumt die Salzkrümel einfach weg. Was hingegen überraschenderweise wirkt: grossflächig Zimt streuen. Nun liegt zwar unter der schwarzen Ameisenspur eine braune, aber es wirkt: Schon zwei Stunden später sind deutlich weniger Tiere unterwegs. Am nächsten Tag irren vereinzelte Exemplare umher. Und da ihr jetzt das mit den Pheromonen wisst, zerquetscht ihr am übernächsten Tag ungefähr fünf Exemplare direkt vor der kleinen Einfallsritze, als Warnung für die Schwestern.

Fünf Exemplare tot gegen die Rettung eines potenziell zwei Millionen grossen Volkes findet ihr vertretbar. Und wirken tuts. Nachdem neben dem ungeliebten Zimt auch noch Todespheromone an eurer Treppe kleben, lässt sich keine einzige Ameise mehr blicken. Spuk vorbei. Zeit, den Zimt wegzusaugen. Statt «Ui nei!» sagt man dann: «Uff!»

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