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Wissenschaftler erklärt die Probleme
Was meine «Nonna» mit der Impf-Revolution zu tun hat

Die Grossmutter unseres Autoren flüchtete aus Süditalien vor Armut und Krankheit. Was die Erfolge im Kampf gegen Covid mit unserer Migrationsgesellschaft zu tun haben – und wieso die Probleme der Impfherstellung seit dem 19. Jahrhundert die gleichen sind.
Publiziert: 01.02.2021 um 09:29 Uhr
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Aktualisiert: 11.04.2021 um 07:47 Uhr
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Die geliebte «Nonna» unseres Autors Mirko Bischofberger – sie flüchtete aus Süditalien in den Norden, auch weil dort die medizinische Versorgung besser war.
Mirko Bischofberger

Meine Nonna wuchs mit 12 Geschwistern in Süditalien auf. Doch nur sie und drei Schwestern überlebten. Die anderen 9 starben im Säuglingsalter aufgrund von Viren und Bakterien. Die mittelalterlichen Umstände schienen ihr kein wirklich cooler Ort, um aufzuwachsen, und so entschied sie schon in sehr jungem Alter, das Land zu verlassen. Dieser Wunsch wurde noch verstärkt, als sie vom Wohlstand im Norden hörte und von all den medizinischen Revolutionen durch Antibiotika und Impfstoffe.

Impfungen waren damals nämlich noch brandneu und eine riesige, globale Revolution, so etwa wie heute das Internet. Denn auch wenn es in Asien schon vor 1000 Jahren erste natürliche Impfansätze gab, so begann die wirkliche medizinische Zeitenwende erst zum Ende des 18. Jahrhunderts. Und zwar als ein unbekannter, englischer Landarzt namens Edward Jenner sich die Sache mit den Pocken genauer anschaute. Diese töteten damals nämlich etwa 10 bis 20 Prozent der Bevölkerung, vor allem in den Städten, wo sich die Infektion leichter ausbreitete.

Jenner studierte die Krankheit in Asien und verstand, dass dort Menschen mit dem Eiter von kranken Patienten eingerieben wurden, und dass dies wahrscheinlich zu einer Immunisierung führen konnte. Doch das Problem dieser Behandlung war, dass sie mit ernsthaften Risiken verbunden war, die bis zu Krankheit und Tod führen konnten. Zudem konnten die Eingeriebenen die Krankheit weiter übertragen, da sie zu Trägern der Krankheit wurden. Ein zu grosses Risiko!

Die immunen Milchmädchen

Doch aufmerksam wie Jenner war, beobachtete er noch etwas. Und zwar Folgendes: Viele Milchmädchen schienen in England immun gegen Pocken zu sein. Nun, diese scheinbar irrelevante Kuriosität führte ihn zur Vermutung, dass Kuhpocken, denen die Milchmädchen dauernd ausgesetzt waren, eventuell vor Pocken schützen. Die Viren von Kuhpocken ähneln nämlich denen von Pocken bei Menschen, sind aber viel weniger gefährlich. Diese Kuriosität führte Jenner über Umwege dazu, ein Experiment zu machen, das wohl zu den berühmtesten der Wissenschaftsgeschichte gehört. Er entnahm Eiter eines an Kuhpocken erkrankten Milchmädchens und presste diesen in die Wunde eines 8-jährigen Jungen. Sechs Wochen danach, versuchte er den Jungen dann mit den tödlichen Pocken zu infizieren. Doch dies gelang nicht mehr, denn das Kind war nun immun geworden! Es war der Anfang einer Revolution und Jenner wurde zum «Vater der Impfung». Mit seiner Erfindung rettete er mehr Leben als wohl je ein Mensch zuvor.

Nach Jenners Erfindung begann die Jagd nach Impfungen

Die Jahre danach waren von einer regelrechten Jagd nach neuen Impfstoffen geprägt, und viele andere, darunter auch der Franzose Louis Pasteur, entwickelten neue Impfstoffe gegen Anthrax, Hühnercholera und andere Kinderkrankheiten. Während eines grossen Teils des 19. Jahrhunderts galt die Impfforschung als nationale Prestigesache für viele Länder, so wie der Wettlauf zum Mond im 20. Jahrhundert oder die Nutzung der künstlichen Intelligenz dieser Tage.

Heute werden auch noch laufend neue Impfstoffe entwickelt, wie zum Beispiel die neue Impfung gegen Papillomaviren für Frauen, um Gebärmutterkrebs zu verhindern. Doch in der Regel dauert diese Forschung Jahre, wenn nicht Jahrzehnte. Die grosse Ausnahme ist der Impfstoffe gegen Sars-CoV-2, wo gleich mehrere in weniger als einem Jahr hergestellt wurden. Die Rekordhalter sind in diesem Fall zwei türkische Einwanderer in Deutschland, Ugur Sahin und Özlem Türeci. Mit ihrer Firma Biontech ist es ihnen gelungen, den ersten Impfstoff zu entwickeln – ein absoluter Weltrekord, der einen Eintrag in das Guinness-World-Records Buch verdient. Ihr Ansatz ist so revolutionär, dass er ihnen eines Tages vielleicht sogar einen Nobelpreis einbringen könnte.

Die Entdeckung eines Impfstoffes reicht noch nicht

Doch die Geschichte endet nicht hier. Denn das eine ist es, einen neuen Impfstoff zu entdecken. Ein ganz anderes Problem ist es dann, Millionen von Impfdosen in kürzester Zeit herzustellen. Und auch diese Hürde war schon im 19. Jahrhundert bekannt. Als der Bauernsohn Alexander Fleming nämlich das erste Antibiotikum in einem Schimmelpilz entdeckte, wollte er die Substanz zuerst isolieren. Und als er dann genug davon zu haben glaubte, behandelte er seinen ersten Patienten damit. Es handelte sich dabei um einen todkranken Polizisten, der das Penicillin über Tage intravenös verabreicht erhielt. Und nach ein paar Tagen begann er sich tatsächlich zu erholen. Doch leider dauerte die Genesung länger, als Fleming dachte, und die Menge an Antibiotikum, die er aufbereitet hatte, ging aus. Der Polizist erlag an der Infektion.

Die darauffolgenden Experimente mit anderen Patienten und mehr Antibiotikum funktionierten dann aber wie ein Wunder und retteten die ersten Leben. Und wie die Experimente von Jenner gingen diese in die Geschichtsbücher ein, und die Neuigkeit breitete sich weltweit wie ein Buschfeuer aus, bis nach Süditalien zu meiner Nonna. Doch nun brauchte es mehr denn je eine Massenproduktion von Penicillin.

Fleming war sich dessen bewusst. Er versuchte die englische Regierung davon zu überzeugen, im grossen Stil in die Massenproduktion von Penicillin zu investieren. Doch England hörte nicht auf ihn, und Fleming sah sich gezwungen, in die USA auszuwandern, wo er auf offene Türen stiess und ein Vermögen verdiente. Auch die deutsche Firma Biontech verbündete sich dem amerikanischen Pharmaunternehmen Pfizer, oder die amerikanische Moderna mit Lonza hier in der Schweiz, um genügend Impfstoffe für alle zu produzieren und der enormen Nachfrage nachkommen zu können.

Im Herkunftsland impfte man am langsamsten

Ist das Wundermittel einmal entdeckt und massenweise produziert, so braucht es dann noch ein letztes Element: national koordinierte Programme und eine extrem gute Logistik. Dazu gibt es auch eine schöne Analogie zur Geschichte von Jenner, die ironischerweise an heutige Zustände in gewissen Ländern erinnert. Obwohl der Engländer Jenner die erste Impfung gegen Pocken entdeckte, so war es genau sein England, dass am langsamsten war, als es um nationale Impfprogramme ging. Italien, Deutschland, Spanien und Russland waren alle schneller. Und Österreich hatte sogar ein so effizientes Impfprogramm auf die Beine gesetzt, dass das Land bald offiziell als pockenfrei galt, während die Krankheit in England noch Jahre wütete und Tausende von Menschen tötete.

Es braucht viel, um ein neues Wundermittel zu entdecken, zu produzieren und für Millionen von Menschen zugänglich zu machen. Es braucht Jahrhunderte von angesammeltem Wissen, gute Vermutungen, eine Prise Glück und (normalerweise) viel Zeit. Doch vor allem braucht es hervorragende Köpfe mit verschiedenen Denkansätzen, die miteinander forschen und die Grenzen des Wissens ausloten – grenzenlos. Ich persönlich kann es kaum abwarten, mich endlich gegen Sars-CoV-2 impfen zu lassen. Doch ich bin noch lange nicht an der Reihe und so gehe ich vorerst mal zu meinem Lieblingstürken ums Eck, um Gemüse aus Süditalien zu kaufen, der Region meiner Grossmutter ...

Er denkt über Wissenschaft nach

Mirko Bischofberger ist Molekularbiologe, Filmemacher und Kommunikationsleiter der EPFL.

Mirko Bischofberger ist Molekularbiologe, Filmemacher und Kommunikationsleiter der EPFL.

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