Kurz nachdem Beda Stadler (71) vor acht Jahren ins Walliser Bergdorf Zeneggen gezogen war, traf er bei einem Spaziergang auf vier ältere Frauen. Seine Religionskritik im Radio hätte sie zutiefst schockiert, sprachen sie ihn an. Er antwortete: «Hey girls, seid doch froh, komme ich in die Hölle – dann habt ihr mehr Platz im Himmel.» Gelächter, und die Sache war gegessen.
Stadler ist zwar zurückgekehrt ins Oberwallis, seine Heimat. Doch mit Ansichten, die sich nicht stärker hätten verändern können. Denn statt katholischer Priester wurde er überzeugter Atheist und Immunologe, forschte und lebte in Amerika und wurde Direktor des Instituts für Immunologie der Universität Bern.
Auf seinem Weg brachte der bekannteste und umstrittenste Wissenschaftler der Schweiz zuverlässig Gläubige, Impfgegner wie Maskenbefürworter auf die Palme, schrieb Kolumnen mit Titeln wie «Frauen sind nicht lustig», «Masken der Angst» oder «Legalisiert das Doping». Nun ist seine Autobiografie im Cameo Verlag erschienen: «Glücklich ungläubig».
Beinahe verlor er sein Leben
«In vierzehn Tagen wird man mir ein Loch von der Grösse eines Fünflibers in den Kopf bohren», beginnt Stadler das Vorwort seiner Lebensgeschichte. In seinem Gehirn war im September 2020 ein beschädigtes Blutgefäss gefunden worden. Er wurde sofort operiert.
Wegen schwerer Komplikationen musste er drei Wochen ins künstliche Koma gelegt werden, erlitt mehrere Hirnschläge und epileptische Anfälle. Beinahe verlor Stadler sein Leben. Nach der Genesung stellte er das Buch fertig, das seinen lebenslangen Kampf für Wissen statt Glauben beschreibt.
Auch er sei einmal davon überzeugt gewesen, dass es einen Gott gebe, sagt der in Visp VS geborene Stadler, und nimmt einen tiefen Zug von seiner E-Zigarette. Geschmacksrichtung: Vanilla Medley. Denn der wohl bekannteste Gesundheitswissenschaftler der Schweiz raucht, seit er zwölf ist. Früher ein Päckli Marlboro Gold am Tag, heute nur noch elektronisch. Stadler scherzt: «Meine Freunde sagen: Lieber, dass er drinnen dampft, als dass er irgendetwas sagt.»
Messedienst statt Mickey Mouse
Schon bei seiner Taufe hatten seine erzkatholischen Eltern ein Gelübde abgelegt: Stadler solle Priester, lieber noch Bischof werden. Es folgte eine Kindheit mit Gottesdiensten, Heiligenbildchen als Weihnachtsgeschenke und dem morgendlichen Glockenläuten im Kirchturm – Stadler junior war Messdiener.
Doch schon als er lesen lernte, begann sich der Konflikt mit Autoritäten und dem Glaubenssystem anzubahnen. Mickey Mouse war verboten, stattdessen gab es Bücher wie «Ursli und die erste heilige Kommunion».
In der Pubertät wechselten sich Kirchen- mit Mädchenbesuchen ab, gemäss Religionslehrer der Expressweg in die Hölle. Zur Abschreckung las ihm ein Jesuitenprofessor seines Gymnasiums «Spiritus Sanctus» gar einen Text vor, der besagte, dass ein Frauenkörper nichts anderes sei als «ein Sack voll Dreck mit einem Schlitz darin», erzählt Stadler.
Er kritisiert Impfgegner und Maskenpflicht
Stadler beschloss, Biologie zu studieren. Doch seine Schule sah das anders. Als der Berufsberater seinen Berufswunsch hörte, rief er sofort bei der Vogelwarte Sempach an. Als man dort versicherte, dass in den nächsten Jahren keine Stelle frei werden würde, wurde Stadler vom Biologiestudium abgeraten. Stadler sagt: «Seither habe ich nie mehr auf einen Ratschlag eines Konsultanten gehört.»
So studierte er trotzdem Biologie, wanderte in die USA aus und forschte an den National Institutes of Health (NIH). Zurück in der Schweiz lehrte er als Biotechnologie-Professor an der Universität Bern. In bissigen Kolumnen und Auftritten polarisiert er zu medizinischen, gesundheits- und gesellschaftspolitischen Themen. Er kritisiert mal Religion, mal Esoterik und Globuli, mal Impfgegner und jüngst auch die Maskenpflicht – so hätten die Schweizer genug Verstand, Masken dort zu tragen, wo es Sinn macht.
«Ich mag es nicht, wenn man sagt, dass ich gerne provoziere», sagt Stadler, der einfach nicht gerne um den heissen Brei herumrede. Er sagt: «Für mich sollte es ein Menschenrecht sein, das man sich über jegliche Irrationalität lustig machen darf.»
Wissenschaft, Religion und Philosophie
Zurück im Wallis sei die Akzeptanz für seine Ansichten erstaunlich gross. Vor allem bei den jüngeren Leuten. «Die Älteren brauchen die Religion noch viel mehr«, sagt Stadler. Vor allem von den dazugehörigen Ritualen sei es schwer, sich zu trennen, wenn man keinen Ersatz habe.
Einer der Gründe, weshalb Stadler seine Autobiografie geschrieben hat: «Ich wollte zeigen, dass es auch ohne Religion geht – nämlich mit Wissenschaft, Kunst und Philosophie.» Wir haben nur ein Leben, sagt Stadler. «Umso mehr sollte man jeden einzelnen Tag mit Spass statt mit religiösen Einschränkungen verbringen.»