Es ist klein, in der Regel grün und scheidet die Geister: Moos. Konventionelle Gärtner greifen zum Vertikutier-Rechen, zu Muskelschmalz und zu Gift, um die kleinen Pflanzen vorübergehend aus dem gepflegten englischen Rasen zu verbannen – vergeblich, sie wachsen aus allerkleinsten Stückchen ständig wieder nach. Molekularbiologen untersuchen längst, was es mit der Langlebigkeit auf sich hat. Ein Schlüssel könnte in der genetischen Vielfalt der resilienten Pflanzen liegen: Moose tragen mehr genetisches Material in sich als wir Menschen und sind allein deshalb bereits faszinierend.
Gärtner wollen das Grünzeug einfach loshaben. Biologen bemängeln klaffende Forschungslücken betreffend der Urpflanze. Urpflanze deshalb: Im Meer und Süsswasser entwickelten sich zunächst Grünalgen. Vor rund 500 Millionen Jahren haben diese sozusagen den Sprung an Land geschafft, in der Form einer Art Urmoos. Wurzellos holte sich dieses Nährstoffe aus Luft und aus dem felsigen, damals noch erdelosen Untergrund, wurzellos speicherte es Wasser und verstoffwechselte CO2 und gab dabei Sauerstoff an die Atmosphäre ab – und veränderte diese so.
Gleichzeitig bildete dieses Urmoos sozusagen das organische Polster, auf dessen Grundlage sich diverse Bakterien und in der Folge Kleinstorganismen erst entwickeln konnten. Moose ermöglichten also einen grossen Teil der Evolution an Land auf unserem Planeten.
Bis heute bildet Moos, das noch immer keine Wurzeln ausbildet, sondern sich mit sogenannten Rhizoiden, haarförmig ausgewachsenen Haftorganen, an verschiedenste, teilweise auch komplett «nackte» Untergründe heftet, die Grundlage für die Bodenbildung, auf der schliesslich auch andere Pflanzen Halt finden. Ohne Moos gäbe es weder uns noch unzählige Tierarten.
Wo anderes serbelt und den Geist aufgibt, überlebt Moos
Nur schon deshalb sollten wir diese optisch zarten, hinsichtlich seiner Eigenschaften aber unfassbar zähen Organismen eigentlich in höchsten Ehren halten. Eiszeiten, Hitzeperioden, Veränderungen in der Zusammensetzung unserer Atmosphäre – Moos hat alles überlebt und wird wahrscheinlich uns überleben.
Moos ist zudem die ursprünglichste Pflanze, die heute noch auf Erden existiert, einige Arten haben sich seit Äonen kaum verändert: 50 Millionen Jahre alte Exemplare, die in Bernstein konserviert wurden, sind heute noch bestimmbar und lassen Rückschlüsse auf damalige Verhältnisse und auf Anpassungsfähigkeiten von Organismen auf Veränderungen des Klimas zu. Nur schon dieser Fakt müsste eigentlich die Forschung auf den Plan rufen.
In der Schweiz sind zwei Drittel der Moosarten Europas zu finden
Trotzdem fristet die Moos-Forschung, Bryologie genannt, eine Art Nischendasein: «Wenn wir eine internationale Tagung zur Molekularbiologie der Moose machen, nehmen daran vielleicht 200 Menschen teil. Bei anderen Pflanzenarten, auch wenn es nur um eine einzige Art geht, können es leicht mehr als 3000 sein», sagt etwa Ralf Reski (64). Der Biologie-Professor an der deutschen Universität Freiburg und Leiter der Arbeitsgruppe für Pflanzenbiotechnologie bedauert dies: «Moose sind nach den Blütenpflanzen die zweitgrösste Pflanzengruppe überhaupt, weltweit gibt es bis 20'000 verschiedene Arten.»
In der Schweiz, sagt der Biologe Ariel Bergamini (56) von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL), kennt man bis anhin über 1100 verschiedene sogenannte Bryophyten, die meisten davon einheimisch, viele davon noch weitgehend unerforscht. Das sind fast zwei Drittel aller europaweit bekannter Arten. Die Schweiz ist also ein Land, das äusserst reich an verschiedenen Moosarten ist. Rund ein Drittel davon ist aber gefährdet. «Bei Vögeln macht eine solche Zahl Schlagzeilen, bei Moosen nicht», bedauert Bergamini.
Dabei handelt es sich um nichts Geringeres als um einen brachliegenden Schatz, der in Mauernischen, Bodenritzen, in Wäldern, an schattigen Stellen versteckt, auf die Bergung wartet. Denn Moos hat höchst erstaunliche Eigenschaften, etwa als Biodiversitäts-Multiplikator. Zählungen von Kleinstlebewesen auf einem Quadratmeter Moos im Wald ergaben die unfassbare Anzahl von 60'000 Tierchen. Darunter Rädertierchen, Bärtierchen, diverse Springschwanz- und Milbenarten – Kleinlebewesen, die Grundlagen für ganze Nahrungsketten bilden und so wiederum Amphibien, Säugetiere und Vögel ernähren.
Oder als Wasserspeicher und Erosionsschutz: Je nach Moosart können die kleinen Blättchen das 8- bis 22-Fache ihres Trockengewichts an Wasser aufnehmen. Moos reguliert so die Feuchtigkeit von Böden und schützt sie vor Austrocknung, Wind und Ausspülung durch starke Niederschläge.
Medizin, Kosmetik, Luftreinigung – Moos ist ein brachliegender Schatz für die Forschung
Es gibt unzählige Anwendungen und Forschungsfelder, was Moose betrifft. Medizinische etwa: Die Moosart Sphagnum, also Torfmoos, wirkt blutstillend, keim- und pilztötend, was mit dem Aufkommen moderner Desinfektionsmittel etwas in Vergessenheit ging, aber im Ersten Weltkrieg sowohl als Desinfektionsmittel als auch als Wundverband verwendet wurde, als Baumwolle für Wundkompressen knapp wurde und so das Leben vieler verwundeter Soldaten rettete.
Längst haben auch die Kosmetik- und Gesundheitsindustrie Moos entdeckt: Es gibt bereits Moossalben zur Anti-Ageing-Gesichtspflege oder zur Behandlung von Ekzemen, wobei wissenschaftliche Überprüfungen der Wirksamkeit zwar im Labor bestätigt, aber sozusagen direkt auf der Gesichtshaut gemessen grösstenteils noch fehlen.
Auch als Luftreinigungs-Messgerät kommt Moos zum Einsatz: Weil Moose ihre Nährstoffe über die Luft und die Luftfeuchtigkeit aufnehmen, nehmen sie auch Schadstoffe aus der Luft auf. Das macht sich das Bundesamt für Umwelt zunutze: An über 250 Standorten in der Schweiz entnehmen Forschungsbeauftragte alle paar Jahre einige Sprösschen Moos und analysieren sie auf Schwermetalle. So wird ablesbar, welche Schadstoffe in welcher Konzentration in die Natur gelangen: Als bleihaltiges Benzin im Jahr 2000 verboten wurde, zeigte sich die geringe Schadstoffbelastung in der Luft bald auch im Moos.
Findige Geschäftsleute bieten deshalb bereits Moos-Konstruktionen als Luftreinigungsfilter an. Erste Anwendungen wie etwa die Anbringung von Mooswänden entlang Autobahnen oder entlang viel befahrener, stark mit Feinstaub belasteter Strassen scheiterten zwar spektakulär: Eine Stuttgarter Mooswand wurde 2017 am viel befahrenen Neckartor mit grossem medialem Getöse und mit einem finanziellen Aufwand von einer halben Million Euro zur Luftreinigung installiert – um kurz darauf wieder in der Versenkung zu verschwinden. Die Moose hielten der Feinstaub-Belastung, dem im Winter auf der Strasse verstreuten Salz, Sonneneinstrahlung und gleichzeitiger Trockenheit nicht stand und starben ab.
Das deutsche Start-up Green City Solutions gibt die Luftreinigungs-Idee aber noch längst nicht auf: Das Team aus Architekten, Biologen und Ingenieuren bietet «Citytrees» an, eine Art mit Moos gefüllte, befeuchtete Säulen mit Sitzgelegenheit, die sowohl die Temperatur im Umkreis um bis zu 4 Grad herunterkühlen wie auch Luftschadstoffe filtern sollen. Um ein Austrocknen zu verhindern, bewässern sensorgesteuerte Düsen die beschatteten Citytrees.
40 Exemplare stehen bereits, unter anderem in Berlin. Experten sind sich allerdings noch uneinig, ob solche Moos-Lösungen zur Feinstaub- und Hitzebekämpfung langfristig auch tatsächlich wirken.
Obwohl ja gerade die Langlebigkeit und Resilienz von Moosen sie eigentlich so interessant machen: Vierzigjährige, ausgetrocknete Moos-Proben, die Forscher in einem Schrank lagerten, regenerierten sich nach Kontakt mit Wasser und «lebten» sozusagen erneut auf, schreibt die US-Botanikerin und «New York Times»-Bestsellerlisten-Autorin Robin Wall Kimmerer (69) in ihrem bereits 2003 erschienenen Buch «Das Sammeln von Moos». Dass das Interesse an den Urpflänzchen steigt, zeigt auch, dass sie mit ihrem Buch bis heute an unzählige Fachtagungen eingeladen wird.
Moose betreiben Photosynthese, sind also biologisch gesehen Pflanzen, obwohl sie weder Wurzeln noch Blüten bilden, noch Lignin – das Material, aus dem Holz hauptsächlich besteht. Moose bilden Sporenkapseln aus. Sie verbreiten sich einerseits über diese Sporen, andererseits auch über Klone – kleinste abgebrochene Teile können sich wieder zu ganzen Pflänzchen entwickeln. Die Haftorgane von Moosen, Rhiziode genannt, transportieren keine Nährstoffe. Diese nehmen Moose aus der Luft direkt in die einzelnen Zellen auf. Sie sind auf der ganzen Welt an unterschiedlichsten und teilweise sehr lebensfeindlichen Stellen vertreten.
Moose betreiben Photosynthese, sind also biologisch gesehen Pflanzen, obwohl sie weder Wurzeln noch Blüten bilden, noch Lignin – das Material, aus dem Holz hauptsächlich besteht. Moose bilden Sporenkapseln aus. Sie verbreiten sich einerseits über diese Sporen, andererseits auch über Klone – kleinste abgebrochene Teile können sich wieder zu ganzen Pflänzchen entwickeln. Die Haftorgane von Moosen, Rhiziode genannt, transportieren keine Nährstoffe. Diese nehmen Moose aus der Luft direkt in die einzelnen Zellen auf. Sie sind auf der ganzen Welt an unterschiedlichsten und teilweise sehr lebensfeindlichen Stellen vertreten.
Torfmoore versenken jährlich tonnenweise CO2
Was aber definitiv langfristig global Wirkung zeigt, ist Moos als CO2-Senke oder – im schlechten Fall leider auch – als CO2-Schleuder. Und an dieser Stelle muss man den Blick vom Kleinen ins Grosse wenden. Denn Sphagnum, die bereits erwähnte, blutstillende Torfmoos-Art, prägt ganze Landschaften – eben Torfmoore.
Sphagnum, weltweit gibt es rund 250 Arten der Gattung, wächst gegen oben immer weiter und sorgt gegen unten für eine feucht-saure Umgebung. So verrotten die abgestorbenen Teile nicht, sondern vertorfen. «Moore versenken so jährlich Tausende von Tonnen CO2 dauerhaft aus der Atmosphäre», sagt Bergamini von der WSL.
Er untersucht für den Bund, wie sich die Schweizer Moore in den letzten Jahren verändert haben. Und es gibt auch beim Sphagnum durchaus Anlass zur Besorgnis: Denn die Moore werden, nicht nur in der Schweiz, sondern auch global gesehen, trockener. In der Schweiz spiele das keine grosse klimawirksame Rolle, «aber wenn die grossflächigen Torfmoore etwa in Sibirien austrocknen, setzt ein Umkehrprozess ein», sagt Bergamini: «Wenn die Torfschichten austrocknen, fängt ein normaler Abbauprozess an, und dabei wird das über Jahrtausende gespeicherte CO2 wieder in die Atmosphäre abgegeben.»
Da weltweit gesehen rund 30 Prozent des im Boden gebundenen CO2 in abgestorbenen, feuchten Sphagnum-Schichten, also in Torfmooren, liegt, bedeutet dies eine beträchtliche Gefahr für unser Klima. Trockenlegungen von Mooren, damit sie später für die Landwirtschaft nutzbar sind, zeichnen bereits für rund fünf Prozent des CO2 in der Luft verantwortlich.
In der Schweiz sind die verbliebenen Moore seit der Annahme der Rothenthurm-Initiative im Jahr 1987 geschützt. Seither gibt es zusätzliche Bestrebungen, weitere Flächen zu renaturieren und so auch die einzigartige Flora und Fauna – samt vielen seltenen Moosarten, die neben Sphagnum in Mooren vorkommen – zu schützen und zu erhalten.
Moos ist auch im Garten schön – und entfaltet dort seine positiven Eigenschaften
Moorschutz tut also, global gesehen, dringend Not. Zurück aufs Kleine gesehen kann auch jeder selbst etwas tun. Während es ökologisch gesehen zwar recht egal ist, ob man im eigenen Garten nun das Moos im Rasen entfernt oder nicht – «die Arten, die im Rasen vorkommen, sind ökologisch gesehen nicht sehr wichtig», sagt Bergamini –, bringt ein Blick in den Fernen Osten aber Erleuchtung: In Japan kultivieren Mönche und Private seit Jahrhunderten Moosgärten mit diversen Moosspezies.
Und das Interesse daran steigt, wenn auch für seinen Geschmack etwas zu langsam, auch hierzulande, sagt der europaweit tätige Roger Ingold (65), den wir kurz vor seiner beruflichen Abreise nach Florenz erreichen. Der Gartenbaumeister hat sich mit seiner Firma mit zwölf Angestellten auf Gartenbau und insbesondere Spezialbegrünungen spezialisiert und arbeitet sowohl an Privatgärten in der Toskana wie auch an Begrünungsprojekten grosser Hotels und Fassaden in Deutschland.
Moosflächen, sagt er, tun nicht nur lokalen Ökosystemen, sondern auch der menschlichen Psyche gut: «Die sanften Flächen in satten Grüntönen beruhigen das Gemüt, die wasserspeichernden und luftreinigenden Eigenschaften der Moose sorgen für ein angenehmes, kühles Klima.»
So hat etwa die Jugendpsychiatrie Basel ihren Innenhof von Ingold als Moosgarten anlegen lassen. Und sein Moosgarten beim Bahnhof Zürich-Altstetten gilt in der Fachpresse europaweit als einer der schönsten überhaupt. Ein Erstarken des Interesses zeigen auch einige Bücher: So gibt etwa der deutsche Biologe mit dem passenden Namen Michael Altmoos in seinem Buch «Der Moosgarten» Tipps für Gärtner, die sich an den Urpflanzen versuchen wollen.
Trotzdem: Für Private scheitert es oft am Know-how und an der Technik. Moose brauchen je nach Art einen anderen – fast immer schattigen – Standort, einige mögen es saurer als andere, sie vertragen kein kalkhaltiges Leitungswasser, insbesondere in der Anwuchsphase brauchen sie regelmässige Bewässerung. Und Regenwasser aus der Tonne funktioniert auch nicht, falls es vorher durch eine Kupfer-Dachleitung geflossen ist. Ingold, der seit seiner Kindheit von den satten Grüntönen der filigranen und doch so überaus robusten Pflanzen fasziniert ist, bricht für Moose trotzdem eine Lanze: «Moos ist ein Feinstaubkiller und erst noch einfach wunderschön.»