Warum ist es akzeptiert, Frauen vorzuschreiben, wie ihr Körper zu sein hat?
Saralisa Volm: Das wüsste ich auch gerne!
Ich habe kürzlich ein Werbeplakat für ein Fitnessstudio gesehen. Es zeigt eine Frau im Bikini, die auf einem Spinning-Bike sitzt. Dazu der Text: «Schon fit für die Bikini-Saison?» Die Botschaft: Bevor eine Frau ihren Körper zeigen darf, soll sie ihn trimmen.
Es hat viel mit Gefallen-Wollen und Gefallen-Müssen zu tun.
Wie meinen Sie das?
Frauen sollen und wollen denen gefallen, die die Entscheidungen treffen. Man wird ihnen vorschreiben, wie sie auszusehen haben, solange sie nicht gleichberechtigt sind und für ihre Versorgung im Alter abhängig sind von ihren Männern. Studien zeigen, dass Menschen schlechte Laune bekommen, wenn sie ständig Bilder von perfekt schönen Menschen sehen wie der Frau im Bikini. Das ist Absicht, denn das Gefühl, ungenügend zu sein, bringt uns dazu, Dinge zu kaufen, die wir nicht brauchen.
Immerhin sorgt die Body-Positivity-Bewegung dafür, dass auch in der Werbung Frauen mit unterschiedlichsten Körpertypen zu sehen sind.
Das schon, aber der Begriff Body Positivity übt schon wieder Druck aus. Er sagt: Du musst dich jetzt lieben. Finde dich toll. Akzeptiere deine Falten. Am Ende des Tages hatte ich oft das Gefühl, da soll mir wieder was verkauft werden, ein Kleid, eine Creme.
Saralisa Volm (38) ist eine deutsche Autorin, Schauspielerin, Filmproduzentin und Kuratorin. Sie studierte Kunstgeschichte und Philosophie. Ihr neustes Buch «Das ewige Ungenügend. Eine Bestandsaufnahme des weiblichen Körpers» ist 2023 im Ullstein Verlag erschienen; es ist eine Mischung aus Sachbuch und Autobiografie. Saralisa Volm lebt mit ihren vier Kindern und ihrem Ehemann in Berlin.
Saralisa Volm (38) ist eine deutsche Autorin, Schauspielerin, Filmproduzentin und Kuratorin. Sie studierte Kunstgeschichte und Philosophie. Ihr neustes Buch «Das ewige Ungenügend. Eine Bestandsaufnahme des weiblichen Körpers» ist 2023 im Ullstein Verlag erschienen; es ist eine Mischung aus Sachbuch und Autobiografie. Saralisa Volm lebt mit ihren vier Kindern und ihrem Ehemann in Berlin.
Sie bevorzugen den Begriff Body Neutrality. Was meinen Sie damit?
Man muss sich gar nicht toll finden. Man kann in den Spiegel schauen und zu sich selbst sagen: Ach krass, man sieht richtig, dass du gestern lange aus warst und jetzt schon um sechs aufgestanden bist. So what? Ich brauche jetzt weder positive Affirmationen noch eine halbe Stunde Gesichtsyoga. Ich brauche keine zusätzliche Einheit Super-Self-Care, sondern ich geh jetzt einfach raus, es ist mir egal. Es geht nicht darum, diese Haltung immer zu haben, aber ab und zu zu sagen: Mein Aussehen ist jetzt nicht das Wichtigste.
Der Perfektionsanspruch an den Frauenkörper werde immer absurder, schreiben Sie in Ihrem Buch «Das ewige Ungenügend». Inwiefern?
Wir Frauen füllen heute auch Positionen aus, die früher männlich gelesenen Personen vorbehalten waren. So muss der Frauenkörper auch ein Erwerbsarbeitskörper sein, Seriosität ausstrahlen, Macher-Qualitäten haben. Abends muss er ein Mutterkörper sein, ein Care-Work-Körper, ein sexy, begehrenswerter Superkörper. Der gute Körper muss Sport machen, sich jung halten, dem Vergleich standhalten. Schon wenn ich darüber spreche, merkt man: Das ist nicht in einem Tag zu schaffen.
Lange Zeit war der perfekte Körper auch für Sie das Ideal. Als Jugendliche erkrankten Sie an Bulimie. Ein individuelles Schicksal, das Sie aber systemisch bedingt sehen. Erklären Sie, bitte.
Von Kindesalter an lernen Mädchen: Gutes Aussehen ist für Frauen der Weg zu Glück, Geld und Unabhängigkeit. Dementsprechend ist eine Essstörung oft eine Form von Selbsttherapie von Frauen, die unglücklich sind mit sich selbst. Der vermeintliche Lösungsansatz ist: Ich muss nur schön werden, dann wird es mir gut gehen. Das ist gesellschaftlich anerkannt: Zu Beginn einer Magersucht bekommt man Komplimente. Bei einer Bulimie, wo man nicht zwingend schlanker wird, gibt es kaum positive Rückkoppelungen von aussen, aber ein grosses Befriedigungsmoment von innen.
Ihr Satz «Das Gefühl der körperlichen Unzulänglichkeit ist gewollt» ist zentral in Ihrem Buch. Diese Erkenntnis macht wütend, oder?
Enorm wütend! Aber sie befreit auch.
Inwiefern?
Wenn man versteht, dass es vielen Leuten nützt, dass ich unzufrieden bin mit meinem Körper, weil sich mit dieser Unzufriedenheit sehr viel Geld verdienen lässt, dann ist das eine grosse, befreiende Erkenntnis.
Sie wurden mit 24 erstmals Mutter. Fiel der Druck während der Schwangerschaft ab, gut auszusehen?
Tatsächlich nahmen andere Themen viel mehr Raum ein: Wie gestaltet und finanziert man ein Leben mit Kind?
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Wo setzen Sie an, um Ihren Kindern einen liebevollen Blick auf den eigenen Körper zu ermöglichen?
Es gibt ein paar Dinge, die ich für wichtig halte. Das eine ist, Bodyshaming zu vermeiden. Kindern die Auswahl ihrer Kleidung zu überlassen. Ihnen nicht zu sagen, was jemand anziehen könnte, um schlanker rüberzukommen oder männlicher zu wirken.
Was noch?
Körpergrenzen zu lernen. Kinder sollen wissen, dass der eigene Körper einem selbst gehört. Das war aber bei mir als Mutter auch ein langer Prozess.
Wie meinen Sie das?
Auch als Eltern sind wir oft übergriffig. Wir kämmen Haare, auch wenn sich das Kind sträubt, zwängen es in eine Jacke, schieben es aus dem Weg. Jahrzehntelang war es üblich, vom Kind zu verlangen, dass es Verwandten Küsschen gibt. Damit bringen wir Kindern aber bei, ihre Grenzen zu verschieben, um einer anderen Person zu gefallen.
Sie beschreiben in Ihrem Buch, wie Sie als 15-Jährige von einem Mitschüler an einem Hausfest vergewaltigt wurden. Sie wussten nicht, dass man niemandem Sex schuldig ist, dass Sex nicht eingefordert werden darf. Ist das Setzen von Grenzen in Bezug auf Sexualität ein Thema, das Sie schon in Ihrer Familie besprechen?
Es ist nicht so leicht, weil Kinder nicht unbedingt mit ihren Eltern über Sex sprechen wollen. Wir pflegen aber eine relativ grosse Offenheit, sprechen zum Beispiel über Darstellungen von Sexualität in der Kunst. Wir lehren unsere Kinder, wie ihre Genitalien heissen und dass diese nichts Peinliches an sich haben. Aus der Forschung zu sexualisierter Gewalt wissen wir, dass es noch schwieriger ist, jemandem zu sagen, dass ein Übergriff passiert ist, wenn die Begriffe dafür fehlen. Übrigens zeigt sich das Thema der empfundenen körperlichen Unzulänglichkeit auch in der Sexualität.
Wie?
Stichwort «Orgasm Gap»: Frauen kommen bei heterosexuellem Sex viel seltener zum Höhepunkt als Männer. Mir hat mal ein Mann geschrieben, das sei von der Natur so gewollt. Was für ein Quatsch.
Sie erzählen in Ihrem Buch, dass Sie mit 35 erstmals einen Orgasmus hatten.
Ich hatte mit Sicherheit eine lange Strecke von wirklich schlechten sexuellen Erlebnissen und von unerfüllter Sexualität. Dann folgte eine Phase, in der ich das eigentlich schon alles gut fand, ich hatte nur keinen Orgasmus. In dieser Phase haben wir partnerschaftlich Dinge erkundet. Dadurch stellte ich mir die Frage: Bin ich eigentlich kaputt oder weiss ich einfach noch nicht, wie es geht?
Mädchen wird viel mehr über Verhütung beigebracht als über weibliche Lust.
Wenn wir in Filmen Sex sehen, sehen wir meist penetrativen Sex, der auf eine Art und Weise stattfindet, dass die meisten Frauen in heterosexuellen Konstellationen nicht zum Orgasmus kommen. Wir sehen oft Blowjobs, hingegen selten Männer, die Frauen oral oder mit der Hand befriedigen. Wir reden auch zu wenig über Sex. Es ist ja nicht so, dass die Mutter, der Vater, die Oma erklären, wie die Klitoris funktioniert.
Tauschen sich jüngere Frauen untereinander offener aus?
Ich habe kürzlich eine Dokumentation über Mädchen in Berlin gesehen, die sich über ihre Sexualität unterhalten haben. Ich war geschockt, dass wir noch nicht weiter sind und welche bedrückenden Statements von den sehr jungen Frauen kamen.
Was haben die Mädchen gesagt?
Sie gehen davon aus, dass sie Sex erst mal über sich ergehen lassen, dass es normal ist, dass es ihnen keinen Spass macht und dass es irgendwann besser wird. Frauen wird ständig erklärt, dass sie Bock auf Sex haben sollen, gleichzeitig fühlt es sich nicht so gut an wie in den Darstellungen. Das ist verheerend und für die Gesamtkörperwahrnehmung schlimm. Man hat den Eindruck, mit dem eigenen Körper stimme was nicht. Daraus wächst das Bedürfnis, ihn zu verändern.
Ihre eigene Auseinandersetzung mit Ihrem Körper wurde in den letzten Jahren aktivistisch: Sie veröffentlichten auf Instagram Bilder von Genitalhaaren, die aus dem Höschen blitzen, von Pickeln im Gesicht, unrasierten Achseln und Beinen. Was bezweckten Sie damit?
Es begann mit einem zeitlich begrenzten Projekt, bei dem es nicht nur um Körper ging, sondern darum, jeden Tag Imperfektion und Scheitern sichtbar zu machen. Das hat sich zwischenzeitlich in mein reguläres Leben übertragen.
Als Schauspielerin ist der Druck hoch, schön zu sein. War die Aktion auch ein Befreiungsschlag?
Ja, das geht mit Sicherheit Hand in Hand. Primär habe ich aber etwas geschaffen, was ich selbst gerne sehen wollte auf Instagram.
Wie waren die Reaktionen?
Ich bekam viel Zuspruch, gerade bei Geschichten, von denen ich zuerst Angst hatte, sie zu posten. Zum Beispiel zur Pille danach. Ich habe aber auch von Männern Nachrichten erhalten wie: «Behave and shave.» Da ging es um mein Schamhaar, das nicht perfekt rasiert war.
Wie ist Ihr Verhältnis heute zu Ihrem Körper?
Es ist mir nicht egal, wie ich aussehe, aber ich bin entspannter geworden. Ich schliesse nicht aus, dass ich irgendwann mein Kinn straffen lasse, aber ich fühle eine andere Verantwortung. Und: Mit Sicherheit beantworte ich diese Frage anders, wenn ich drei Tage auf Instagram tolle Landschaften anschaue, als wenn ich den ganzen Tag an Werbung für ein Fitnessstudio vorbeilaufen muss.