Schon im Januar sind die Bienen wegen des warmen Wetters ausgeflogen: Nun könnte die Kälte für sie zur Gefahr werden. Womöglich macht ihnen das sogar Angst. Der Verhaltensbiologe Lars Chittka (59) forscht seit 30 Jahren an Bienen und ist überzeugt, dass die fleissigen Insekten ein Bewusstsein und Gefühle haben.
Frühlingsgefühle
Weil der Winter frühlingshaft warm war, flogen viele Bienenvölker und Hummeln bereits im Januar aus, viele Blütenpflanzen öffnen ihre Kelche jedoch verzögert. Tragisch sei das besonders für gewisse solitär lebenden Wildbienen, so Mathias Götti Limacher (49), Zentralpräsident Bienen Schweiz, dem Imkerverband der deutschen und rätoromanischen Schweiz. «Sie leben in Symbiose mit einer einzigen Pflanzenart, von der sie Nahrung bekommen und sie zugleich bestäuben.» Wenn Biene und Blume sich verpassen, haben beide ein existenzielles Problem.
Zucker in der Not
Weniger bedrohlich ist die Situation für Honigbienen, der Imker versorgt sie in der Not mit Zucker, den er mit Wasser verdünnt. «Wenn die Bienen im Winter mal ausfliegen, können sie ihre Kotblase leeren», sagt Götti Limacher. Und weil schon die Hasel geblüht hat, konnten die Bienen Pollen sammeln.» Problematisch sei trockenes Wetter und rasant steigende Temperaturen: «Wenn es im April plötzlich 25 Grad warm ist und alles auf einmal blüht, Kirschen, Löwenzahn, Birnen und Äpfel, dann ist die wichtige Zeit des Sammelns sehr rasch vorbei, und die Nahrung wird für die Bienen später im Jahr knapp.»
Echte Gefühle
Dass Bienenvölker intelligent sind, ist bekannt. Der Biologe Lars Chittka ist zunehmend davon überzeugt, dass Bienen auch ein Bewusstsein und Gefühle haben, wie er in einem Interview im «Spiegel» sagt. Seit 30 Jahren erforscht er das Verhalten von Bienen und Hummeln. Sie können nicht nur zählen, menschliche Gesichter erkennen und Werkzeuge benutzen. Ein Experiment, das einen Angriff mit räuberischen Spinnen simulierte, hat Chittka verblüfft: «Die Hummeln haben nach dieser Erfahrung ihr Verhalten drastisch verändert.» So als ob sie davon verängstigt und traumatisiert seien. Beweisen könne man das nicht, aber: «Warum soll man ihnen Gefühle absprechen», so Chittka, der kürzlich im Buch «The Mind of a Bee» seine umfangreichen Forschungsarbeiten an Hummeln und Honigbienen veröffentlicht hat.
Wärme durch Zittern
Bienen rücken im Winter zusammen und bilden eine Traube, um sich zu wärmen. So herrscht im Inneren des Stocks in der brutfreien Phase im November und Dezember 20 Grad, vom frühen Frühling bis in den Herbst sind es 35 Grad. Was wie ein Winterschlaf aussieht, ist Schwerstarbeit, die Bienen zittern mit ihren Flugmuskeln, um sich aufzuheizen. Ist die Biene heiss, krabbelt sie ins Innere der Traube, bis sie von nachkrabbelnden, wärmeren Bienen wieder nach aussen gedrängt wird. Ein Wechselspiel, das pausenlos bis zum Frühling dauert. Aktuell ist die Königin bereits wieder aktiv und legt wieder Eier.
Superorganismus
Weil ein Bienenstaat wie eine körperliche Einheit funktioniert, sprechen Wissenschaftler von einem Superorganismus. So wie Zellen, die im Körper verschiedene spezialisierte Aufgaben haben, tun es die Bienen. Die «Tankstellenbienen» tragen den Honig von den Waben zu den völlig erschöpften «Heizerbienen», während «Kühlbienen» Flüssigkeit verdunsten. Die «Wächterbienen» bewachen den Eingang zum Stock und die «Ammenbienen» betreuen die Eier der Königin. Die männlichen Drohnen warten ihr Leben lang auf die Chance, die Königin zu begatten.