In England lebt eine Autorin, deren Nachname ihre Berufung vorweggenommen hat: Isabella Tree (60). Die Autorin von sieben Sachbüchern und ihr Mann, der Landbesitzer und ausgebildete Landwirt Charlie Burrell (61), haben etwas schier Unmögliches geschafft, das wegweisend für die europäische und auch die Schweizer Landwirtschaft – und den Naturschutz – sein könnte.
Das zeigt eine aktuelle Studie des global agierenden Planungs- und Beratungsdienstleisters Arup mit 90 Niederlassungen in 35 Ländern: Die Böden auf dem Landgut Knepp in West Sussex, im Süden Englands, speicherten in verhältnismässig kurzen 20 Jahren mehr CO2, als dies im selben Zeitraum ein mühsam wiederaufgeforsteter Wald tut. Damit könnten wir eine «Waffe» mehr gegen den Klimawandel in der Hand haben. 2022 wurde das Projekt gar von der britischen Regierung ausgezeichnet.
Das Interessante: Die CO2-Speicherung ist nur ein unverhoffter Nebeneffekt. Das Ziel von Burrell und Tree war ein ganz anderes: einen Konkurs zu vermeiden. Die Geschichte beginnt im Jahr 1987, nachzulesen ist sie in Trees Büchern «Wildes Land» und «Wilding – How to Bring Wildlife Back». Damals erbten die beiden ein weitläufiges, konventionell bewirtschaftetes, defizitäres Landgut samt marodem Schloss im Süden Englands.
Von defizitärer Landwirtschaft …
Auf dem Landgut, offizieller Name Knepp Estate, betrieben Burrells Vorfahren auf über 1400 Hektar Land – das entspricht etwas über einem Drittel der Fläche des Kantons Basel-Stadt – seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs Milchwirtschaft und Ackerbau. Und dies von Anfang an mehr schlecht als recht. 13 Jahre lang, bis ins Jahr 2000, wirtschafteten Burrell und Tree konventionell weiter. Mit 23 Angestellten kämpften sie vergeblich darum, ihr Landgut rentabel zu halten. Nur zwei Mal in all den Jahren warf der Hof einen Gewinn ab, der Schuldenberg stieg auf umgerechnet über eineinhalb Millionen Franken.
Im Jahr 2000 zog das Ehepaar die Reissleine und verkaufte ihre Milchvieh-Herden und ihren Maschinenpark, um den aufgelaufenen Schuldenberg etwas abbauen zu können. Danach ging es einen komplett neuen Weg: Sie halfen dem Land, sich selbst zu regenerieren. Mithilfe eines Zustupfs der Regierung entfernten sie alte Entwässerungssysteme und liessen den Fluss auf ihrem Land wieder wie einst mäandrieren.
Tree und Burrell liessen sich zusätzlich vom niederländischen Konservationisten Frans Vera (74) inspirieren. Der argumentiert, der natürliche Zustand Europas sei über lange Zeit nicht eine durchgehend dicht bewaldete Fläche gewesen, wie die gängige Lehrmeinung lautet, sondern auch über weite Stellen eine Art licht bewaldete Savanne, ungefähr so, wie man sie aus Afrika kennt. Der Grund: Grosse Weidetiere wie Bisons, Wildpferde oder noch früher Mammuts hielten durch das Grasen und den Verbiss an Bäumen und Sträuchern stets Flächen offen, wo sich neue, artenreiche Vegetation ansiedeln konnte.
In Ermangelung von Bisons, Mammuts und Wildpferden liessen Tree und Burrell drei Tierarten, Langhornrinder, Pferde und Schweine, in geringer Stückzahl frei durch ihr Land streifen, um genau das zu wiederholen. Die grösste Wirkung, sagt Tree in ihrem Buch «Wildes Land», habe aber die nach unzähligen Gesuchen bei der Regierung nach Jahren erteilte Bewilligung für die Renaturierung eines Biberpaars gehabt. Deren Staudämme erhöhen den Grundwasserspiegel, schaffen neue Biotope und ziehen so unzählige Insekten, Amphibien, Kleinsäuger und Vogelarten an, die anderswo in England vom Aussterben bedroht sind. In Knepp vermehren sie sich.
Sukzessive weiteten Tree und Burrell die gezielte Verwilderung aus – und kamen so wirtschaftlich wieder auf die Beine. Denn mit der Artenvielfalt kam eine Idylle, mit der Idylle kamen die Ökotouristen. Sie können in Knepp Camping-Spots mieten, in einem Restaurant dinieren, auf Safaris gehen und, da jährlich einige der frei durchs Land streifenden Tiere geschossen werden, damit der Bestand nicht zu dicht wird, Delikatessen-Fleisch im Direktverkauf beziehen.
… zu einem lukrativen Geschäftsmodell
Heute, gut 20 Jahre später, ist das Schloss renoviert. 50 Leute sind auf dem Gut angestellt, und Tausende von Besucherinnen und Besuchern geben jährlich hier Geld aus. Der jährliche Umsatz übersteigt nach eigenen Angaben eine Million Franken, rund 20 Prozent davon sollen Gewinn sein. Saniert ist auch die Landschaft: Der Grundwasserspiegel ist gestiegen, und in den letzten Dürresommern blieb Knepp eine grüne, kühlere Oase voller Leben, umgeben von konventionell bewirtschafteten, verdörrten Feldern.
Wasser zieht Tiere an. Wer einen Garten hat, legt am besten einen naturnahen Teich an, um Insekten und dadurch auch Vögel und Amphibien zu fördern. Wasserflächen sind aber auch auf Balkonen oder Fenstersimsen hilfreich: Insekten sind vor allem im Sommer um eine Trinkgelegenheit froh. Eine flache Schale mit Steinchen, Zweigen und etwas Moos befüllen und mit täglich frischem Wasser auffüllen.
2. Einheimische Pflanzen im Garten und auf dem FensterbrettFür Gärtner: Auf invasiven Kirschlorbeer, Sommerflieder oder nutzlose Forsythien genauso wie auf ökologische Wüsten wie Schottergärten verzichten und stattdessen einheimische Gehölze und Stauden anpflanzen. Viele Falter fressen als Raupen an Weiden (Salix caprea) und Schlehen. Wenn es gar ein Baum sein darf, pflanzt man am besten eine einheimische Espe (Populus tremula), auch Zitterpappel benannt. An ihr finden über 100 verschiedene Raupenarten Nahrung, darunter einige der schönsten und gefährdetsten Schmetterlinge der Schweiz, etwa der Grosse Eisvogel, der Kleine Schillerfalter oder der Maivogel.
Wildbienen und andere Insekten freuen sich aber auch auf einheimische Pflanzen auf dem Balkon oder Fenstersims. Und da viele lokale Spezies auf lokale Pflanzen spezialisiert sind, gibt es bei Pro Natura für knapp 50 Franken speziell geografisch abgestimmte Pakete mit je vier Wildstauden zu kaufen.
3. Lücken und kleine Zwischenräume schaffenFür Gärtner bedeutet dies, sich weniger Arbeit zu machen: Laub für Regenwürmer liegen lassen – die ziehen es in die Erde, verdauen es und sorgen so dafür, dass der Boden durchlüftet und mit Humus und CO₂ angereichert wird. Totholz aufschichten statt entsorgen, Rasen an einzelnen Stellen im Garten hoch wachsen lassen und nur zwei Mal im Jahr mähen, ein halbsonniges Stückchen Boden von Vegetation befreien und brach liegen lassen, um erdnistenden Hummeln und Wildbienen einen Platz zu geben. Hermetisch verriegelte Zäune an einzelnen Stellen etwas untergraben, damit etwa Igel einen Durchschlupf finden.
Für Balkon und Fenstersims bieten sich Wildbienen-Nistmöglichkeiten an. Auch hier hilft Pro Natura weiter.
Quellen: Pro Natura und Isabella Tree: «Wildes Land» und «Wilding».
Wasser zieht Tiere an. Wer einen Garten hat, legt am besten einen naturnahen Teich an, um Insekten und dadurch auch Vögel und Amphibien zu fördern. Wasserflächen sind aber auch auf Balkonen oder Fenstersimsen hilfreich: Insekten sind vor allem im Sommer um eine Trinkgelegenheit froh. Eine flache Schale mit Steinchen, Zweigen und etwas Moos befüllen und mit täglich frischem Wasser auffüllen.
2. Einheimische Pflanzen im Garten und auf dem FensterbrettFür Gärtner: Auf invasiven Kirschlorbeer, Sommerflieder oder nutzlose Forsythien genauso wie auf ökologische Wüsten wie Schottergärten verzichten und stattdessen einheimische Gehölze und Stauden anpflanzen. Viele Falter fressen als Raupen an Weiden (Salix caprea) und Schlehen. Wenn es gar ein Baum sein darf, pflanzt man am besten eine einheimische Espe (Populus tremula), auch Zitterpappel benannt. An ihr finden über 100 verschiedene Raupenarten Nahrung, darunter einige der schönsten und gefährdetsten Schmetterlinge der Schweiz, etwa der Grosse Eisvogel, der Kleine Schillerfalter oder der Maivogel.
Wildbienen und andere Insekten freuen sich aber auch auf einheimische Pflanzen auf dem Balkon oder Fenstersims. Und da viele lokale Spezies auf lokale Pflanzen spezialisiert sind, gibt es bei Pro Natura für knapp 50 Franken speziell geografisch abgestimmte Pakete mit je vier Wildstauden zu kaufen.
3. Lücken und kleine Zwischenräume schaffenFür Gärtner bedeutet dies, sich weniger Arbeit zu machen: Laub für Regenwürmer liegen lassen – die ziehen es in die Erde, verdauen es und sorgen so dafür, dass der Boden durchlüftet und mit Humus und CO₂ angereichert wird. Totholz aufschichten statt entsorgen, Rasen an einzelnen Stellen im Garten hoch wachsen lassen und nur zwei Mal im Jahr mähen, ein halbsonniges Stückchen Boden von Vegetation befreien und brach liegen lassen, um erdnistenden Hummeln und Wildbienen einen Platz zu geben. Hermetisch verriegelte Zäune an einzelnen Stellen etwas untergraben, damit etwa Igel einen Durchschlupf finden.
Für Balkon und Fenstersims bieten sich Wildbienen-Nistmöglichkeiten an. Auch hier hilft Pro Natura weiter.
Quellen: Pro Natura und Isabella Tree: «Wildes Land» und «Wilding».
Und wie brachten es Burrell und Tree fertig, mit ihrer Renaturierung gleich noch mehr CO2 zu binden, als wenn sie ihr Gut aufgeforstet hätten? Ganz simpel: Böden speichern CO2 von Ästen und Blättern, die herunterfallen und sich zersetzen. Das Pflügen stört diesen Prozess. Lässt man den Boden aber machen, sammelt dieser in Ruhe eine riesige Menge CO2 an – auch ohne Bäume.
Kritiker des Vorzeigeprojekts in England gibt es darum kaum. Eine Frage stellt sich trotzdem: Wenn man die Natur verwildern lassen soll, wie soll sie uns dann ernähren? Tree hat darauf in ihrem Buch «Wilding» folgende Antwort: «Unsere Böden haben sich nie wirklich für Ackerbau geeignet, man musste ihnen jedes Korn abtrotzen. Auch wir hätten gute Böden nicht einfach verwildern lassen. Man wird einen Teil des für Ackerbau geeigneten Lands immer für Nahrungsmittelproduktion nutzen müssen. Aber wir produzieren global gesehen insgesamt zu viel Nahrung. Man kann also getrost einen Teil des Bodens der Nahrungsproduktion entziehen, dem Leben zur Verfügung stellen und CO2 darin versenken.» Fakt ist: Global gesehen wird ein Drittel der produzierten Nahrung nie gegessen, sondern weggeworfen.
In der Schweiz sieht es besonders arg aus
Was kann man in der Schweiz von Knepp lernen? Hierzulande gibt es kaum jemanden, der einen ganzen Landstrich von 1100 Hektar erbt und diesen nach Gutdünken umgestalten kann. Der durchschnittliche Schweizer Hof ist «nur» 21 Hektar gross, zudem sind die einzelnen Felder oft nicht zusammenhängend.
Trotzdem wären wir gut beraten, uns das Projekt zum Vorbild zu nehmen. Denn unseren Böden geht es schlecht. Gemäss dem Bundesamt für Umwelt nimmt deren Fähigkeit, Nährstoffe, CO2 und Wasser zu speichern, seit Jahren ab. Grund dafür sind Überdüngung, Pestizide, Verdichtung durch schwere Maschinen. Der Klimawandel bringt Trockenheit im Sommer und Regen im Winter und verstärkt so die Bodenerosion. Auch betreffend Biodiversität steht die Schweiz noch mieser da als England – uns gehts schlechter als fast allen unseren europäischen Nachbarn: Ein Drittel aller Arten steht auf der Roten Liste.
Wie drehen wir das Ruder um? Der Schweizer Bauernverband, sagt dessen Mediensprecherin Sandra Helfenstein, habe dies erkannt. Er plant für dieses Jahr eine Sensibilisierungskampagne dafür, wie Bäuerinnen und Bauern mehr Humus aufbauen und so mehr CO2 in den Böden speichern können. Damit steigt als Nebeneffekt auch die Anzahl der Mikroorganismen, also die Biodiversität im Boden.
In der Westschweiz gibt es bereits ein Pilotprojekt, das sich «regenerative Landwirtschaft» nennt. Der Schwerpunkt liegt darauf, den Boden zu schützen und im Idealfall zu verbessern. Hierfür hören die teilnehmenden Bauern auf zu pflügen und säen direkt auf das abgeerntete Land. Eine clevere Fruchtfolge, also die im Jahreslauf unterschiedliche Ansaat, sorgt dafür, dass der Boden so gut wie immer bedeckt ist, weniger Wasser braucht und nicht erodiert. Für die Belüftung ist nicht der Pflug, sondern Regenwürmer zuständig. So sollen Mikroorganismen geschützt werden und der Boden durch die darin verbleibende Wurzelmasse langfristig wieder mit Humus angereichert werden. Bewährt sich das Projekt, soll es ab nächstem Jahr auf die Deutschschweiz ausgeweitet werden.
Die Schweizer Mühlen mahlen langsam – Zeit, selbst aktiv zu werden
All diese Bemühungen seien aber viel zu wenig, wenden Naturschutzverbände ein. Zeit also, dass wir doch etwas von Knepp lernen. Und zwar die Hoffnung: Wenn man etwas nachhilft und sie dann machen lässt, sorgt die Natur sehr, sehr schnell dafür, dass die Arten, die es noch gibt, sich erholen können und sich wieder vermehren. Dass die Böden wieder mehr Wasser und CO2 speichern und so dem Klimawandel und seinen Folgen wie Überschwemmungen und Dürren entgegenwirken. Die Alternative dazu wäre teuer: Eine Kosten-Nutzen-Analyse des Bundes kommt zum Schluss, dass ein Nicht-Handeln betreffend des Klimawandels bis 2050 38 Milliarden Franken beträgt – und das nur in der Schweiz.
Da in der Schweiz die Mühlen der Politik bekanntlich langsam mahlen, könnte man das Heft auch selbst in die Hand nehmen. Auch wenn es in der Schweiz auf den ersten Blick unwahrscheinlich erscheint, grosse zusammenhängende Landflächen renaturieren zu können – der Effekt wäre wohl gewaltig.
Das zeigt wiederum ein Blick über den Kanal, diesmal nach Schottland. Dort haben sich die Anwohner des Dorfs Langholm im Jahr 2022 erfolgreich zusammengetan, um via Crowdfunding umgerechnet knapp drei Millionen Franken aufzutreiben, um das umliegende Land aufzukaufen. Ziel: die Moore zu renaturieren, Biodiversität zu fördern, Ökotourismus anzubieten und die einstige CO2-Senke wiederherzustellen.
Buchtipps:– Isabella Tree, «Wildes Land», Dumont Buchverlag, 2022. 416 Seiten, ca. Fr. 37.90
– Isabella Tree «Wilding: How to Bring Wildlife Back – The New Illustrated Guide», Pan Macmillan, 2024. 96 Seiten, Fr. 38.50 (in Englisch, dafür mit diversen Illustrationen, die zeigen, welche Pflanzenarten für welche Insekten und Tiere förderlich sind)