«Beispiellos ist ein Wort, das oft in Umlauf gebracht wird, aber es bringt nicht wirklich zum Ausdruck, wie schockierend das ist», sagt Will Hobbs, Forscher an der University of Tasmania, gegenüber dem «Guardian».
Normalerweise gäbe es in der Antarktis etwa 16,4 Millionen Quadratkilometer Eis, aber diese Woche waren es nur 14,1 Millionen Quadratkilometer. Eine Eisfläche, die grösser ist als Mexiko, fehlt – was Wissenschaftler beunruhigt.
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Wissenschaftler besorgt
Im Februar erreichte das schwimmende Meereis rund um die Antarktis zum zweiten Mal in Folge einen Rekordtiefstand. Seitdem Satelliten 1979 damit begannen, das Eis der Region zu verfolgen, gab es nie weniger Eis.
Die Besorgnis der Wissenschaftler angesichts dieses Rekordtiefs – das nur ein Jahr nach einem vorherigen Rekordtief kam – wird jetzt von Erstaunen und Verwirrung überlagert. Einige befürchten, sie könnten Zeuge des langsamen Zusammenbruchs des antarktischen Meereises werden.
«Etwas Seltsames geht vor sich»
«Man hat das Gefühl, dass etwas Seltsames vor sich geht. Es liegt weit unter dem, was wir in unseren Aufzeichnungen gesehen haben», sagt Walter Meier, leitender Wissenschaftler am National Snow and Ice Data Center (NSIDC) der University of Colorado. Meiers Aufgabe ist es, bei der Zusammenstellung und Präsentation von Daten von US-Satelliten zu helfen, die seit November 1978 die Entwicklung des Eises aufzeichnen.
Debatte um Eis-Rückgang in der Antarktis
Jeden Tag überfliegt ein Satellit die Region mit einem Instrument an Bord, das – durch Wolken und in der Nacht – erkennen kann, ob die Meeresoberfläche von Eis oder Wasser bedeckt ist. Jeden Morgen gegen 7 Uhr morgens ruft in Boulder, Colorado, ein automatisiertes System die Daten ab, führt einen Algorithmus aus und spuckt aus, wie sich das Eis im Durchschnitt der letzten fünf Tage entwickelt hat.
«Bezogen auf den Normalwert liegen wir sogar noch weiter hinter dem Niveau vom Februar», sagt Meier. Während sich das Treibeis in der nördlichen Arktis so verhält, wie es Wissenschaftler und Klimamodelle in einer sich erwärmenden Welt erwartet haben es nimmt schon länger ab – ist das Meereis in der Antarktis bis 2016 stabil geblieben. Doch dann änderte sich etwas.
Abwärtstrend beobachtet
Nur zwei Jahre nach einem Rekordhoch wurde 2016 ein Rekordtief erreicht, seitdem ist ein starker Abwärtstrend zu verzeichnen. Wissenschaftler diskutieren immer noch über die Ursachen für den Rückgang.
Das Meereis ist auf allen Seiten von riesigen Ozeanen umgeben und wird von Winden, Stürmen, Lufttemperaturen, Veränderungen der Meereswärme, dem Salzgehalt und der Art und Weise, wie sich verschiedene Schichten des Ozeans vermischen, beeinflusst. Es ist schwierig, all diese Einflüsse und Wechselwirkungen herauszufiltern, um den Einfluss des Klimawandels aufzudecken.
«Etwas Grosses passiert»
Manche Forscher vermuten, dass die Rückgänge seit 2016 zeigten, dass der Klimawandel die natürlichen Barrieren um das Meereis, die durch den einzigartigen, dort vorherrschenden Wind gebildet wurden, durchbrochen hat. Es mangelt jedoch an konkreten Beweisen, die diese Ansicht stützen könnten.
«Insgesamt hat man das Gefühl, dass in diesem Jahr etwas Grosses passiert, und das hängt wahrscheinlich mit dem allgemeinen Rückgang seit 2016 zusammen», sagt Andrew Meijers, Ozeanograph beim British Antarctic Survey. Eine plausible Theorie gibt es allerdings. Die Gewässer rund um die Antarktis sind seltsam unruhig.
«Mache mir wirklich Sorgen»
Die oberen Ebenen des Ozeans sind geschichtet – eine kühlere und weniger salzige Schicht oben und eine wärmere und dichtere Schicht ab etwa 150 bis 300 Metern. Es gibt Hinweise darauf, dass kurz vor dem Rückgang die obere Schicht salziger wurde und sich mit der unteren Schicht vermischte, wodurch das wärmere Wasser an die Oberfläche gelangen konnte. Die Bildung von Eis wurde erschwert.
Der Verlust des Antarktis-Eises hätte erhebliche Folgen. Bedeutet er doch, dass weniger Sonnenenergie in den Weltraum zurück reflektiert wird, was zu einer stärkeren Erwärmung des Ozeans führt. Auch ein weltweiter Anstieg des Meeresspiegels ist möglich.
«Ich mache mir wirklich Sorgen», sagt Will Hobbs. «Wenn es sich um einen funktionalen Zusammenbruch des Systems handelt – und das ist ein grosses Problem – bedeutet das, dass wir unsere Meeresspiegelprognosen überdenken müssen, und das betrifft viele Menschen.»